Aus der Einleitung der Hg.:

Friederike Bahl nimmt in ihrem Beitrag den Bereich bezahlter, informeller Sorgearbeit – und hierbei spezifisch die Live-In-Pflege – zum Ausgangspunkt, um zu erklären, weshalb die Hoffnungen des französischen Ökonomen Jean Fourastié in die Dienstleistungsgesellschaft nicht erfüllt wurden. Sie zeigt auf, dass seine Annahmen auf zwei Prämissen beruhten, die bei der Live-In-Pflege ausgehebelt wurden: auf der Annahme einer primär staatlichen Bereitstellung der Dienstleistungen und auf der Behauptung, die Dienstleistungsarbeit werde aufgrund ihres Charakters als zwischenmenschliche Interaktion (Uno-actu-Prinzip) aufgewertet. Während Fourastié von einem staatlichen Interventionismus ausging, kann für den heutigen Sorgemarkt der Live-In-Pflege konstatiert werden, dass dieser durch einen Rückzug des Staates im Sinne aktivierender Logiken hervorgerufen und zugleich durch politische Maßnahmen der Ermöglichung (wie der EU-Osterweiterung) unterstützt wurde und wird. Die entsprechenden Sorgeleistungen entstanden also – entgegen den Annahmen Fourastiés – nicht durch flächendeckende staatliche Versorgung, sondern im Schatten staatlicher Versorgungssysteme. Zudem gingen die Theoretiker der Tertiarisierung davon aus, die mit ihr steigende Bedeutsamkeit zwischenmenschlicher Interaktion würde einen grundlegenden Wandel der Arbeit anstoßen, der mit einem gesteigerten Qualifizierungsbedarf und mit umfassenderen Autonomiechancen in der Arbeit einhergehen würde. Statt zu einer solchen Humanisierung der Arbeit kam es – das verdeutlicht Bahl am Beispiel der Live-In-Pflege – zu einer Steigerung der Belastung und zu Entwertungsprozessen. Zudem hat die Politik der Sorge – entgegen den Annahmen Fourastiés – den „Container“ des Nationalstaats verlassen. Statt der von den Theoretikern ursprünglich angenommenen Potenziale der Dienstleistungsgesellschaft kam es deshalb in einem transnationalen Kontext zu einer Entwicklung, die vor allem mit hohen Kosten für die migrantischen Care-Arbeiterinnen verbunden ist.