Aus der Einleitung des Beitrags:

Deutschland ist seit Beginn der 90er Jahre von einem nachhaltigen Reformstau betroffen. Der Reformstau bezieht sich vor allem auf die Politikfelder der sozialen Sicherung sowie der öffentlichen Finanzpolitik. Dieser Reformstau, der trotz wachsenden Handlungsdrucks weiter fortbesteht, war in den letzten Jahren immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Analyse und Diskussion. Sowohl die Erklärungsansätze als auch die sozioökonomischen Auswirkungen dieses Reformstaus sind dabei als äußerst umfassend zu betrachten und vollständig geschildert worden. Als zentrale Determinanten werden immer wieder eine intransparente föderale Struktur, das bipolare Parteiensystem mit zwei Wohlfahrtsparteien, die fehlende Verbindlichkeit korporatistischer Absprachen, allgemein defizitäres politisches Lernen und das Ausbleiben wirklich dramatischer gesamtstaatlicher Krisenzustände genannt. Schließlich wird auch der in Deutschland nur mangelhaft ausgeprägten Politikberatung eine gewisse Verantwortung für die Ablehnung drastischer Reformen zu¬geschrieben.

Während die deutsche Politik in den 90er Jahren deutlich durch die finanz-, sozial- und arbeitsmarktpolitischen Auswirkungen der deutschen Wiedervereinigung geprägt war, tritt gegenwärtig eine neue und sehr langfristige Herausforderung zu Tage. Es sind dies die Anforderungen, die der demographische Wandel mit sich bringt. Die Alterung und zugleich Schrumpfung der Bevölkerung und die mit ihnen verbundenen Anpassungsnotwendigkeiten in der Finanz-, Sozial- und Bildungspolitik sind dabei Gefahr und Chance zugleich. Eine gewisse Bedrohung des deutschen Sozialstaates und der Gesellschaft besteht darin, dass sich der Reformstau der 90er Jahre nunmehr durch die demographischen Auswirkungen in potenzierter Weise auf die politischen Systeme und die Menschen auswirken wird. Dies ist aber gleichzeitig auch die Chance, die sich mit der demographischen Herausforderung verbindet; der politische Druck, der im Zusammenhang mit der Schrumpfung und Alterung auf die Politik und den Wähler treffen wird, dürfte die langjährige Reformblockade auflösen helfen. Im Folgenden wird explizit auf die mangelhafte Politikberatung in Deutschland – am expliziten Beispiel des demographischen Wandels – als eine der Hauptursachen für die Reformblockade Bezug genommen.