Aus der Einleitung der Hg.:

Der Beitrag von Fabienne Décieux und Raphael Deindl fokussiert die Sorglosigkeit kapitalistischer Gegenwartsgesellschaften und die dadurch provozierten Aushandlungen und Kämpfe um Sorge und Sorgearbeit. Ihre Diagnose der Sorglosigkeit machen die Autor*innen vor allem daran fest, dass die – gesellschaftlich notwendige – Sorgearbeit heute vor allem mit Blick auf ihre ökonomische Verwertbarkeit organisiert wird. Durch die entsprechende Ökonomisierung sozialer Dienste kam es zu einer Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen, zu einer verschärften geschlechtlichen Arbeitsteilung sowie zu einer Stabilisierung unbezahlter Sorgearbeit im Verborgenen der Privathaushalte. Doch gerade in der Covid-19-Pandemie rücken die – bezahlte wie unbezahlte – Sorgearbeit selbst, aber auch die Auseinandersetzungen um die damit verbundenen Arbeitsbedingungen in den Fokus der Öffentlichkeit. Décieux und Deindl beobachten, dass Sorgekämpfe seit den 2010er Jahren zunehmen und mit steigender Konfliktenergie ausgetragen werden. Hin und wieder schmieden Sorgearbeiter*innen mit Angehörigen – etwa von demenziell Erkrankten – Allianzen und streiten gemeinsam für höhere Entgelte und bessere Arbeitsbedingungen. Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um die (Klein-)Kinderbetreuung in Österreich, aber auch der Pflegestreiks in Deutschland verdeutlichen die Autor*innen, dass derartige Sorgekämpfe nicht nur im Interesse der Beschäftigten, sondern auch im Interesse der Empfänger*innen sozialer Dienste ausgefochten werden. Trotz des dadurch steigenden öffentlichen Rückhalts habe jedoch bisher keiner dieser Sorgekämpfe das grundlegende Problem der Sorglosigkeit kapitalistischer Gegenwartsgesellschaften überwinden können. So schließen Décieux und Deindl mit dem Verweis auf konzeptionelle Überlegungen, die die bislang noch an den Rand gedrängte Sorge ins Zentrum gesellschaftlicher Arbeitsteilung und arbeitspolitischer Governance holen.