"Beiträge zur Geschichte der deutschsprachigen Ökonomie" · volume 47
405 pp.
38.00 EUR
(incl. VAT and Free shipping)
ISBN 978-3-7316-1235-3
Personenregister
Karl Rodbertus (1805-1875) war einst für sein "Gesetz der fallenden Lohnquote" in "sich selbst überlassenen" Privatkapitalwirtschaften bekannt. Er gilt überdies als Begründer des preußischen Staatssozialismus. Die sozialwissenschaftliche Analytik seiner Gedankenwelt bietet jedoch wesentlich mehr - und sie gewinnt wieder an Aktualität. Der vorliegende Band will eine systematische Einführung in das Gesamtwerk geben und zugleich Ausblicke in die Rezeptionsgeschichte eröffnen. Karl Marx schrieb in seinem "Kapital", Rodbertus habe "das Wesen der kapitalistischen Produktion durchschaut". Ferdinand Lassalle hielt ihn gar für den "größten deutschen Nationalökonomen" seiner Zeit. Für einen Vordenker der Neoklassik, John B. Clark, war die Verknüpfung von Verteilungs- und Krisentheorie, die Rodbertus entwickelt hatte, noch von "großem wissenschaftlichen Interesse". Eugen Böhm-Bawerk gestand Rodbertus einen sicheren Stand in der Theoriegeschichte zu und hielt ihn für den "liebenswürdigsten Sozialisten". Joseph Schumpeter verortete seine wirkmächtige "Gesamtauffassung" zwischen David Ricardo und Marx, außerdem habe er Grundbegriffe wie denjenigen der ökonomischen Renten geprägt. Rodbertus begriff moderne Ökonomie als "Gesellschaftswirtschaft" und diese als überindividuelles Wirtschaftssubjekt. Er stützte sich in seiner Renten- und Verteilungstheorie auf Konzepte wie die "relative Armut" und die gesamtwirtschaftliche "wirksame Nachfrage". Er sprach von Geld nicht als Ware, sondern als "Kommunikationsmittel" der Produktwert- und Produktverteilung und befürwortete kreditfinanzierte Konjunkturprogramme. Eine effektive Regulierung der Börsen versprach er sich von den "vereinigten Staaten Europas". Als Landwirt hob er die natürlichen Grundlagen der Produktion hervor, vor deren Vereinnahmung durch das Privatkapital er nachdrücklich warnte. Seine Spuren hinterließ Rodbertus im Sozialstaatsgedanken, in der Sozialdemokratie, im Sozialkonservatismus und in all jenen heute getrennt betriebenen Sozialwissenschaften, die er in einer "Gesellschaftswissenschaft" der Sozioökonomie zusammengefasst sehen wollte.
"Verdienstvoll auch, dass Fehlberg die Einzelaussagen der Rodbertusschen Sozialökonomik zusammenfasst und ein geschlossenes Bild der Lehre dieses frühen Kritikers des Kapitalismus zeigt, eine Systematik zumindest seiner zentralen Ideen. Er will den Platz Rodbertus' in der Geschichte des ökonomischen Denkens bestimmen. Und mit dem Blick zurück "einen Beitrag zum besseren Verständnis der gegenwärtigen Lage" leisten. Er löst diesen Anspruch ein, ein Vorzug seines Buches. [...]
Fehlberg stellt in einem umfangreichen Fußnotenwerk viele Verbindungen zu anderen Ökonomen her und bietet so en passant eine Fundgrube theorienhistorischen Wissens. Dass dazu die Arbeiten von Marx und Engels gehören, ist zwingend. Auch den unbegründeten Vorwurf Rodbertus', Marx habe ihn plagiiert, auf den Marx und Engels gelassen reagieren, spart Fehlberg nicht aus. [...] Dagegen bringt Fehlberg den Unterschied zwischen beiden Denkern treffend zum Ausdruck, wenn er schreibt, dass "der evolutionäre Sozialökonom Rodbertus Lohnerhöhungen einforderte", und sich "der Sozialrevolutionär Marx für die Abschaffung der kapitalabhängigen Lohnarbeit" aussprach. [...]
In der Krisentheorie bescheinigt Fehlberg Rodbertus tiefe Einsichten, die der Marxschen Diagnose ähneln und hochaktuell sind. Den tiefsten Grund der Krise sieht Rodbertus im Privateigentum an Boden und Kapital. Obgleich alle großen Krisen "als Geldkrisen oder Börsenkrisen in Erscheinung (treten)", müsse man festhalten, "dass auch sie nichts sind als Waarenkrisen ...", schreibt Rodbertus, ein Satz, den man den modernen "Krisenexperten" des "finanzmarktgetriebenen Kapitalismus" ins Stammbuch schreiben möchte. [...]
Die praktische Sozialökonomik Rodbertus' (Teil II) liest sich wie ein Kompendium moderner linker Wirtschaftspolitik. Von Lohnsteigerungen, die sich am Produktivitätsanstieg orientieren, Arbeitszeitverkürzungen - damals allerdings nur von 12 auf 10 Stunden täglich - und einer Begrenzung der besitzlosen Einkommen über staatliche Wirtschaftsinterventionen und die Verstaatlichung von Großbetrieben bis hin zur Regulierung des Bank- und Börsenwesens, der Erhebung einer Börsensteuer und einer europäisch ausgerichteten Sozialpolitik findet man Forderungen, die auch die heutige Linke unterschreiben kann. [...]
Frank Fehlberg gebührt Dank für seine lesenswerte Erinnerung an einen zu Unrecht vergessenen deutschen Humanisten und Ökonomen, der uns auch heute viel zu sagen hat. Denn dessen Intention, "alle Glieder der Gesellschaft möglichst gleichmäßig am Fortschritt der Produktivität teilhaben zu lassen", so der Autor, "hat in Zeiten der zahlreichen individuellen und sozialen Krisen nichts von ihrer Dringlichkeit eingebüßt."
"Der zeitgenössische Ruf als "Staatsidealist" (S. 244) überlagerte das Erbe seiner "theoretischen Welt" (S. 48). Fehlberg macht deutlich, dass diese viel reicher war als Rodbertus' bekanntestes Einzeltheorem, das Gesetz der fallenden Lohnquote in einem individualistisch ausgerichteten kapitalistischen Wirtschaftssystem."
"Aus der Perspektive der Wirtschaftswissenschaft versucht Fehlberg, ein vermeintlich veraltetes Theoriegebäude für die "heute gebräuchlichen Modelle von Gesellschaft und Wirtschaft" anschlussfähig zu machen (S.30f.). Dieser Ansatz bestimmt den Aufbau der Arbeit. Im Hauptteil der Untersuchung geht es um "Theoretische und Praktische Sozialökonomik" (S.67-242), daran schließt sich der Abschnitt "Politisches Denken - Staatsökonomik" an. (S.243-292) Die Ausführungen Fehlbergs sind akribische Textstudien zum Begriffsraster von Rodbertus. Doch die Nachzeichnung der historischen ökonomischen Entwicklung bleibt immer auf einen politik- und sozialgeschichtlichen Wirkungsrahmen bezogen."
"Mit Marx aber, auch darauf weist Fehlberg hin, erkannte Rodbertus den Bewegungscharakter des bürgerlichen Zeitalters."(
"Nicht zuletzt die anhaltenden aktuellen Krisensymptome der liberal-kapitalistischen Finanzwirtschaft lassen es aus Sicht des Vf. [...] ratsam erscheinen, die 'Ahnentafel der deutschsprachigen Volkswirtschaftlehre' (17) zu revidieren und dabei einen Autor wie Rodbertus neu zu entdecken beziehungsweise ihn zu rehabilitieren, d. h. konkret, zumindest seine zentralen ökonomischen Ideen systematisch darzustellen und zu diskutieren. [...]
Vollkommen neuartige Einsichten vermittelt der vom Vf. erarbeitete Vergleich zwischen dem preußischen Staatssozialisten Rodbertus einerseits und dem britischen Wirtschaftstheoretiker John Maynard Keynes und dessen vor allem in den USA zu Wirkung und Ansehen gelangender Schule andererseits.
Die entsprechenden Denkwege und Entwicklungszusammenhänge quellennah freigelegt und in einen stets zielführenden, niemals abschweifenden Argumentationsrahmen eingebunden zu haben, ist das große Verdienst der Studie von Frank Fehlberg. Ihr kenntnisreicher Umgang mit zahlreichen Klassikern volkswirtschaftlichen Denkens, von Marx und Lassalle über Weber und Tönnies bis zu Schumpeter und Oppenheimer, besticht ebenso wie die vorbildliche, in Sprache und Stil vollkommen souveräne Darbietungsform. Sie macht die Lektüre des Textes zu einem uneingeschränkten Lesevergnügen und lässt keine Wünsche offen.
"Mit dieser Arbeit möchte der Autor eine systematische Einführung in das Gesamtwerk des kritischen Ökonomen Karl Rodbertus (1805-1875) geben und zugleich Ausblicke in die Rezeptionsgeschichte bis heute eröffnen. Denn in der Volkswirtschaftslehre und in den Sozialwissenschaften ist Rodbertus der "unbekannte Bekannte" geblieben, der aber dieselbe Thematik bearbeitete wie einst Henry George und heute Dirk Löhr (Prinzip Rentenökonomie - Wenn Eigentum zu Diebstahl wird, Marburg 2013), worauf der Autor bewusst hinweist. ... So begreift Rodbertus die moderne Ökonomie als "Gesellschaftswissenschaft" und diese als überindividuelles Wirtschaftssubjekt. Dabei stützt er sich in seiner Renten- und Verteilungstheorie auf Konzepte wie die "relative Armut" und die gesellschaftswirtschaftliche "wirksame Nachfrage". Interessant ist auch, dass Rodbertus Geld nicht als Ware, sondern als "Kommunikationsmittel" der Produktwert- und Produktverteilung bezeichnet und kreditfinanzierte Konjunkturprogramme befürwortete. Zugleich schaute er in die Zukunft und versprach sich eine effektive Regulierung der Börsen von den "vereinigten Staaten Europas". Als bodenständiger Landwirt und Ökonom hob er die natürlichen Grundlagen der Produktion (Boden) hervor, vor deren Vereinnahmung durch das Privatkapital er nachdrücklich warnte. Naturgemäß lehnte er deshalb im Sinne der Arbeitswerttheorie die auf Grund- und Kapitalbesitz beruhende Zins- und Rentenbildung ab. Indem er feststellte, dass dem ständigen Steigen der Produktivität keine entsprechende Lohnerhöhung folge und damit der Anteil der Arbeiter am Sozialprodukt zurückgehe, begründete er das "Gesetz der fallenden Lohnquote". Aus der daraus resultierenden "Unterkonsumption" kämen deshalb die wirtschaftlichen Krisen. Darum forderte Rodbertus schrittweise die Überführung von Boden und Kapital in Staatseigentum. Deshalb gilt Rodbertus in der Wirtschaftsgeschichte als der "Begründer des preußischen Staatssozialismus", doch die sozialwissenschaftliche Analytik seiner Gedankenwelt bietet wesentlich mehr und gewinnt wieder an Aktualität. ...
Diese ausführliche Studie Fehlbergs über die Gedankenwelt von Karl Rodbertus und seine Rezeptionsgeschichte liest sich nicht einfach, aber ist dank eines großen Personenregisters und umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis eine Fundgrube für sozialökonomische Erkenntnisse für heute."