Weltrettungs-ABC IV
386 pp.
28.00 EUR
(incl. VAT and Free shipping)
ISBN 978-3-7316-1302-2
Hardcover, Fadenheftung
Die Welt scheint aus den Fugen. Wir müssen mit aller Kraft unsere Lebensweise verteidigen, wenn wir weiter in Freiheit leben wollen. Gleichzeitig muss diese Lebensweise radikal verändert werden, wenn sie sozial, ökologisch und ethisch vertretbar sein soll. Diesen Ausnahmezustand buchstabiert das Buch durch:
Anomalie * Bequemlichkeit * Clusterfuck * Digitalisierung * Eskalation * Feigheit
Glauben * Hitler * Imagine * Jungtiere * Kritik * Lebensweisen * Mensch
Nirwana * Opfer * Pessimismus * Quacksalberei * Reinheit * Schrumpfung
Transformationen * USA * Verkennung * "Wir" * X7 * Youtube * Zukunftsbilder
Luks handelt seine Begriffe nicht lexikalisch ab, sondern kontinuierlich - ein Kapitel führt, alphabetisch geschickt gewählt, zum nächsten. Von der "Kritik" zu den "Lebensweisen", von den "Menschen" zum "Nirwana", vom "Opfer" zum "Pessimismus" bis schließlich zu den "Zukunftsbildern". In diesen bekräftigt der Autor nochmals seine Absicht, mit seinem skeptischen Blick einen produktiven Umgang mit der Lage der Dinge herstellen und den Ausnahmezustand überwinden zu wollen. Perspektiven zur Überwindung der jetzigen gesellschaftlichen Lage finden sich im Kapitel Zukunftsbilder. Mit Musil plädiert Luks, neben dem "Wirklichkeitssinn" auch auf den "Möglichkeitssinn" zu achten. Ebenso wichtig erscheint dem Autor das Weitergeben von "guten Geschichten" (S. 294): "Geschichten von Menschen, die im Rahmen ihrer Handlungsspielräume die Welt schon heute besser machen, als sie ohne ihre Handlungen wäre (...)".
Das Schlusskapitel "Begründete Hoffnungen" führt uns nochmals den Widerspruch vor Augen, dass wir unsere Lebensweise zugleich verändern und verteidigen sollen, dass Wissen nicht unmittelbar zu entsprechenden Handeln führt und, dass sich in diesen Zeiten großer Unsicherheit, Quacksalberei und populistischer Politik leicht ein dankbares Publikum finden. Luks ermutigt am Ende seines Buches den "Ausnahmezustand", für ihn ein Begriff des Trotzes und des Widerstands gegen die entsetzlichen Zustände produktiv "in eine Hoffnung auf etwas Besseres zu transformieren". (S. 336).
Der Ausnahmezustand sei gekennzeichnet durch Zuspitzung, hohe Ereignisdichte und das Gefühl, "dass es so nicht weitergehen könne" (S. 16), der Erfolg des Populismus zumindest in Teilen als Antwort auf diese komplizierte Lage beschreibbar: "Er ist sozusagen Problemauslöser und Problemreaktion." (S. 13) Luks bezieht sich dabei auf Autoren wie David Goodhart, der von einem "populistischen Aufstand" spricht, oder Ivan Krastev, der in der Migrationsfrage die zentrale Herausforderung für den europäischen Liberalismus sieht. Dazu kämen die ökologischen Bedrohungen, die bislang freilich keine "substanziellen politischen Reaktionen" (S. 21) gezeitigt hätten, und das stockende Wirtschaftswachstum, wiewohl dieses weiterhin als "zentrales Erfolgskriterium jeder Wirtschaftspolitik" (ebd.) angesehen werde.
Luks plädiert dafür, Denkverbote - auch unter den Linken - aufzubrechen, etwa durch offene Debatten über Migration und Versäumnisse eines elitären Kosmopolitismus. Didier Eribons "Rückkehr nach Reims" nennt er dabei u.a. als Kronzeugen. Auch gibt Luks zu bedenken, dass die Erwartungen an die politische Steuerbarkeit von Gesellschaften häufig überzogen würden. Hier beruft er sich auf den Soziologen Armin Nassehi, ohne freilich all dessen Schlüsse zu teilen. Mit einem anderen Soziologen, Harald Welzer, teilt Luks die Wertschätzung von Pionierprojekten und positiven Zukunftsbildern: "Kleine Erfolgsgeschichten und große Zukunftsvisionen sind zentrale Faktoren für die Möglicheit(en) der Zukunft." (S. 294) Eine entsprechende "Erwartungspolitik", die auch den Kapitalismus groß gemacht habe, könne daher ein "Hebel für die Überwindung der aktuellen Krisen sein" (ebd.).
Das Spannungsverhältnis von (wirtschafts)liberalen Gesellschaften und den erforderlichen ökologischen Begrenzungen sieht Luks als zentrale Herausforderung. Wie in seinen früheren Büchern nähert sich der Autor dabei dem Thema assoziativ, indem er die Kapitel mit Überschriften nach dem Alphabet reiht - von "Anomalie" bis "Zukunftsbilder". Das hat einen gewissen Charme, verführt aber auch dazu, zu möglichst vielen Aspekten etwas sagen zu wollen. Den eingeforderten Anspruch an einen seriösen Diskurs löst Luks leider dort nicht ein, wo er offensichtlich seine "Feindbilder" ausmacht, etwa in der "Gemeinwohlökonomie" von Christian Felber, der er "Esoterik, Kommandowirtschaft und Plebiszitpopulismus" (S. 37) vorwirft, oder den Freihandelskritikern, denen er Verschwörungstheorien nachsagt. Auch Abwertungen wie "Weltrettungstruppen" (S. 300) oder "Erlösung von den Erlösern" (S. 299) im Zusammenhang mit ökosozialen Basisbewegungen tun der Sache keinen guten Dienst. Luks ist belesen, das zeigt sein Buch. Unklar bleibt am Ende aber, was er selbst zur Auflösung der Paradoxie zwischen Liberalität und notwendigen Begrenzungen vorschlägt.
"Die Stärke und roter Faden des Buches ist, dass er Dinge und Themen zusammendenkt, die vor allem auch im politisch-gesellschaftlichen Diskurs nicht einmal isoliert vorkommen. Auf diese Weise entlarvt er auch unhinterfragte Stereotype und deren Rolle als Beruhigungsmittel, Illusionen und Verschleierungsstrategien, etwa den Glauben, dass wir das ökologische Nachhaltigkeitsproblem mit Effizienzstrategien samt Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch lösen werden.
Aus der Gleichzeitigkeit aller eskalierenden Problemlagen wie Gefährdung der Demokratie, Massenmigration, Klimawandel, Terror, Krieg, Digitalisierung, etc. schließt er, dass sich die aktuelle multiple Krise vom "normalen" Krisenmodus kapitalistischer Demokratien unterscheidet, wobei das "Fundamentalproblem in einer Endlosschleife von Mehrbekommen und Mehrwollen, die kein Maß, keine Ziellinie und keinen Endpunkt kennt, liegt". ...
Unsere Demokratie wird nach Luks keinen Bestand haben, wenn sie die notwendige sozial-ökologische Transformation nicht schafft und umgekehrt werde diese Transformation nur demokratisch möglich sein. Hoffnungen auf die Management- und Steuerungsfähigkeiten autoritärer Regime überzeugen ihn nicht. Manche Leserin und mancher Leser wünscht sich am Ende einen klaren Masterplan, der aus dem hyperkomplexen Schlamassel herausführt. Einen solchen stellt Luks nicht zur Verfügung, denn diese gehören für ihn der Kultur der expansiven Moderne an. Er spricht sich für ein suchendes, produktives Durcheinander aus und ist überzeugt: "Wer den Ausnahmezustand überwinden will, braucht Imagination, Phantasie, Visionen, Zukunftsbilder und meinetwegen einen Traum - aber ohne es sich in diesem Traum gemütlich zu machen."Ein Buch, das großartiges, mitunter deprimierendes, jedenfalls anregendes Lesevergnügen bereitet."
"einer der ganz wenigen Ökonomen, die Nachhaltigkeit systematisch denken können. Er schreibt seinen Ausnahmezustand in sehr flottem Ton und spart auch Themen wie die libidinöse Besetzung von Technik oder die immanente Widersprüchlichkeit des Öko-Diskurses nicht aus. Wenn er etwa die "friedensstifende Funktion" wirtschaftlichen Wachstums konstatiert und in objektivem Widerspruch zu Nachhaltigkeitspostulaten sieht, dann ist das sehr klug, und wenn er vor diesem Hintergrund "ehrliche Wachstumsziele" fordert, ebenfalls. Ganz in diesem Sinn einer analytischen Ehrlichkeit plädiert Luks für "Eskalationsunterbrechungen", also politische Interventionen, die nicht auf Technik oder Wertewandel setzen, sondern auf, sagen wir, kulturelle Intelligenz: Es sei "notwendig, Dinge zuzulassen, die nach herrschenden Kriterien unproduktiv und unnütz sind. Man muss, so abstrus das zumal für Ökonominnen klingen mag, vernünftige Wege finden, Unvernünftiges zuzulassen ..." Hier entfernt sich der Autor wohltuend von jenem Effizienzmythos, der den Nachhaltigkeitsdiskurs unseligerweise dominiert. Sein Buch ist gedankenreich und an vielen Stellen originell und fruchtbar."
"Aus den rund hundert im Herbst angekündigten Seiten zum gegenwärtigen «Ausnahmezustand» wurde nicht zufällig gut das Dreifache. Fred Luks, der an der Wirtschaftsuniversität Wien ein Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit leitet, liefert damit die vierte, umfassendste Folge seines mit spitzer Ironie so genannten «Weltrettungs-ABC». In ihm setzt er sich seit 2011, dem Fukushima-Jahr, mit der jeweils aktuellen Lage sowie dem Stand der Bemühungen seiner Zunft auseinander. Vorkenntnisse sind von Vorteil, auch eine gewisse Standfestigkeit. Wer eher Grundinformationen sucht oder sich leicht provozieren, durch Zweifel entmutigen lässt, sei gewarnt. Gegen vermeintliches Missionieren polemisiert der Freigeist oft selbst missionarisch. Das kann nerven, hilft aber auch, eigene dogmatische Verhärtungen zu hinterfragen, um Widerspruch und Widersprüche ruhiger auszuhalten.
Ich bin in diesem Buch vielen Büchern wieder begegnet, die mich in den letzten Jahren weiterbrachten. Sie werden hier abwägend und argumentierend mit anderen verbunden. ... Letztere [Zukunftsbilder] seien für eine Überwindung des Ausnahmezustandes entscheidend, hält der Autor fest. Das habe auch das Konzept des Buches bestimmt: «Es geht nicht darum, pessimistische Horrorgeschichten zu erzählen, sondern den skeptischen Blick auf die Lage der Dinge für einen produktiven Umgang mit dieser Lage fruchtbar zu machen.» Den nüchternen Blick auf die Gegenwart braucht es, «aber eben auch auf das, was kommt». Dass wir darüber nichts sicher wissen, es gar nicht wissen können, sei eine gute Nachricht. So werden zum Beispiel die Umbrüche der digitalen Revolution massive Folgen haben, ebenso der demographische Wandel. Doch treffsichere Aussagen, «wie sich diese Veränderung auf Innovationsfähigkeit, Sozialsysteme und Wertehaltungen auswirken wird», sind unmöglich. Dennoch, ja gerade deshalb braucht es Zukunftsbilder, «wenn man gestalteten Wandel anstrebt und erlittenen Wandel vermeiden will». Und in groben Konturen ist eine zukunftsfähige Gesellschaft vorstellbar.
Davon geht der Schlussessay über «Begründete Hoffnungen» aus. Diese müssten zwar den gefährlichen Geist eines «grossen Sprungs nach vorn» meiden, aber pragmatische Schritte allein würden sich bald erschöpfen. «Forderungen nach einer ökologischen Steuerreform (ganz wichtig), Konzepte für mehr Bildung (essenziell, insbesondere frühkindliche Förderung), oder Aufrufe zu einer solidarischen Lebensweise sind ja nicht falsch oder unsympathisch» - doch es genügt nicht, ist zu wenig radikal. Weil es keine Perspektive mehr ist, weltweit auf weiteres Wachstum zu setzen, müssen wir «massive Schrumpfungsprozesse organisieren». Luks meidet den Begriff des Verzichts. Gefragt wären alternative Wohlstandsmodelle, die «auf dem Bestehenden aufbauen und darüber hinausgehen», auch für Mehrheiten bei uns anschlussfähig sind. Dabei wären etwa Fülle und Schönheit gegen Verschwendung und Zerstörung zu setzen, oft einfach Vernunft gegen Unvernunft. Selbst das früh von kühnen Sozialisten postulierte Recht auf Faulheit könnte Anstösse geben. Müssiggang - mehr freie Zeit! «Burnout und Klimawandel haben die gleiche Ursache», wird ein Kollege zitiert: «Wir arbeiten zu viel und zu intensiv.» Ein radikaler Umbau der Arbeitswelt als Erlösung?"