"Theory of the Enterprise" · volume 73
486 pp.
38.00 EUR
(incl. VAT and Free shipping)
ISBN 978-3-7316-1450-0
Hardcover, Leseband
Mittlerweile ist seit zwei Jahrzehnten von der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen die Rede. Zum Besseren geändert hat sich dadurch nichts. Im Gegenteil, die sozialen Verwerfungen auf der Erde sind größer und die ökologischen Zerstörungen brutaler geworden.
Soll es mit einer lebenswerten Zukunft der menschlichen Gattung weitergehen, müssen sich die Praktiken und Strategien der wichtigsten ökonomischen Organisationen kapitalistischer Gesellschaften, der Unternehmen, grundlegend verändern. Schon heute bestehende, als transformativ zu bezeichnende Unternehmen zeigen dafür Ziele und Wege auf, u.a. Gemeinschaftsbildung, partnerschaftliche Befähigung und Teilhabe, ökonomische Selbstbegrenzung und gesellschaftliches Engagement.
In Frage steht, welche Ausstrahlungswirkung solche Initiativen, die sich bisher auf Nischen etwa in der Ernährungswirtschaft (Solidarische Landwirtschaft, Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaften) und in der Energiewirtschaft (Energiegenossenschaften) beschränken, auf überkommene Unternehmen haben. Sicher ist: Ohne eine Neubesinnung auf wirklich unternehmerisches = anderes, andere und sich selber veränderndes Handeln (das also weit über die ökonomische Organisation Unternehmung hinausgeht) ist die erforderliche Kehre nicht zu haben. Sie betrifft die gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen den Menschen ebenso wie die gesellschaftlichen Naturverhältnisse.
Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften müssen sich daher ganz anders als bisher den konkreten Bedingungen, Möglichkeiten und Hemmnissen des unternehmerischen Handelns zuwenden. Solidarität muss zur Maxime und Praxis der Wirtschaft der Gesellschaft werden. Gerade auf lokaler Ebene müssen Unternehmertum und andere gesellschaftliche Aktivitäten eng zusammenwirken. Gegen eine andere Wirtschaftsweise stehen keine vermeintlichen Sachzwänge, sondern ausschließlich mangelnder politischer Wille. Radikale Demokratie verlangt nach Teilhabe statt Repräsentation, aktiver Mitgestaltung statt bloßer Wählerrolle. Nur auf solchen Wegen hat die kulturelle Evolution der Menschen im 21. Jahrhundert wirkliche Zukunftsperspektiven.
""Die Frage ist, ob wir da noch einmal rauskommen." Reinhard Pfriem, der Professor Emeritus für Unternehmensführung und betriebliche Umweltpolitik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, ist sich am Ende seines Opus Magnum nicht mehr sicher. Kriegen wir die Kurve noch einmal hin? Oder steuern wir sehenden Auges auf das Ende unserer Zivilisation zu, auf die thermische Vernichtung unserer Welt?
Dabei sollten wir wissen, so Pfriem, wo das rettende Ufer liegt. In einer solidarischen Gesellschaft, in einer solidarischen Ökonomie, in einer Transformation des Unternehmertums. Weg von der Idee, dass die Märkte die Misere schon wieder bereinigen werden, die sie angerichtet haben, weg von dem alles beherrschenden Prinzip der Gewinnmaximierung.
Für Reinhard Pfriem müssen die Unternehmer:innen der Zukunft weder Schlips noch Kragen tragen, dafür aber ein gerütteltes Maß an Verantwortung gegenüber der Welt, in der sie wirtschaften. Ist dies im Kapitalismus machbar? Oder wird hier Unmögliches gefordert? Ohne die Hoffnung, dass die Grenzen des Systems zu überwinden sind, geht es für Pfriem nicht. Auch nicht ohne radikale Demokratie, in der Teilhabe wichtiger ist als Repräsentation, in der die Ökonomie wieder das Pferd wird, dass den Karren zieht und nicht der Kutscher, der den Weg bestimmt. Dazu muss sich auch die Wissenschaft anders aufstellen. Weg von einer Wissenschaft, die ohne Ansehen der gesellschaftlichen Probleme in ihrem Elfenbeinturm forscht, hin zu einer, die die Kräfte des gesellschaftlichen Wandels unterstützt und sich selbst als Möglichkeitswissenschaft versteht.
Utopien? Ja, für Reinhard Pfriem gilt es das Unmögliche zu fordern, damit das Undenkbare abgewendet werden kann. Zum Ausgang seines Werkes bringt er das ins Spiel, was dringend zu tun und deshalb zu fordern ist. Er benennt die Bausteine einer besseren Zukunft. Wenn es uns gelingt, die Klimakatastrophe und damit die thermische Vernichtung unserer Zivilisation auszubremsen, indem wir unsere Mobilität und unsere Energiesysteme solar organisieren, unseren Fleischkonsum drosseln, eine Ernährungswende mit einer ökologischen Landbewirtschaftung auf den Weg bringen, wäre ein Anfang gemacht.
Aber damit ist die Welt für den politischen Ökonomen Reinhard Pfriem noch keineswegs auf zukunftsfähigen Kurs. Ohne eine solidarische Weltpolitik, die sich Vertreibung und Flucht ernsthaft annimmt, ohne eine Friedenspolitik, die vor Verteidigungspolitik rangiert, ohne eine Wirtschaftspolitik, die globale Gerechtigkeit vor nationale Bereicherung stellt und ohne ein Europa, dass sich der Solidarität verschreibt, anstatt die Schwächeren auszugrenzen, ohne all dies wird es nicht getan sein. Es ist eine Frage der Vernunft, der Selbsterhaltung, des wohlverstanden Eigennutzes.
Wenn Reinhard Pfriem sein letztes Kapitel mit dem Zitat einleitet "Immer mehr Affen bezweifeln, dass der Mensch von ihnen abstammt", dann leuchtet noch einmal der Irrsinn der Verhältnisse auf, in die wir uns in den letzten 100 Jahren gebracht haben und auch ein Hauch von Resignation, dass die Affen am Ende recht haben könnten. Und "die Frage ist, ob wir da noch einmal rauskommen".
Reinhard Pfriem führt uns in seinem Buch mit klarem politischen Blick vor Augen, wie weit wir vom enkeltauglichen Weg abgekommen sind. Aber er zeigt uns auch die politischen Möglichkeiten auf, die wir haben, um unser Schicksal doch noch zu wenden. Ein engagiertes, lesenswertes und tiefgründiges Werk, empfehlenswert."
"In Zeiten multipler Krisen muss sich auch Wissenschaft verändern. Im Zugzwang sind dabei stärker als je zuvor die Wirtschaftswissenschaften, schließlich sind viele der aktuellen Klima-, Ungleichheits- und Gesundheitskrisen ökonomischer Natur. Gleichzeitig reagiert die deutsche Betriebswirtschaftslehre überaus träge auf die von einer neuen Generation auf Fridays for Future-Demos, Klimacamps und Degrowth-Sommerschulen vorgetragenen Forderungen. Ein grüner Anstrich hier, ein sustainable vor dem Titel da.
Reinhard Pfriems titelgebende Forderung lautet in diesem Kontext nicht weniger, als das Unternehmertum - und folglich die Disziplin, die sich Selbiges zum Gegenstand gemacht hat - neu zu erfinden, die Betriebswirtschaftslehre aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken und im "Bruch mit der als marktwirtschaftlich verklärten Ideologie" das unternehmerische Handeln neu zu denken. Denn auch Wissenschaft wird als Praxis erst durch eine ausführliche Reflexion veränderbar. Diese Reflexion liegt nun in Kombination mit zahlreichen Richtungsmarken vor.
Seit seiner Promotion in den 1980er Jahren hat Pfriem das Denken und Forschen zu unternehmerischer Verantwortung für nachhaltige Entwicklung in Deutschland vorangetrieben. Nach seinem Gang in den Ruhestand 2017 legt er mit dem vorliegenden Buch nun eine Art Zusammenfassung der wissenschaftlichen Denkbewegungen und Inspirationsquellen seiner akademischen Laufbahn vor. Wer die Kritik, Motivation und gesellschaftstheoretischen Grundlagen hinter der von Pfriem geprägten kulturalistischen Theorie der Unternehmung nachvollziehen möchte, ist hier also gut aufgehoben.
Der gesellschaftsgestaltende und zutiefst politische Anspruch an eine zukunftsfähige Ökonomik zieht sich durch das gesamte Werk. Konzise legt Pfriem auf rund 450 Seiten eine große Hafenrundfahrt vor: Von Möglichkeiten der sozial- wie naturtheoretischen Öffnung von Ökonomik, Skizzen einer radikalen Demokratie, über Neudefinitionen von Nachhaltigkeit, Gesellschaft und Unternehmen unter dem Leitprinzip der Solidarität hin zum Fortspinnen des unter anderem von Pfriem geprägten Begriffs der Transformativen Wirtschaftswissenschaft. Das Buch endet mit zwölf knapp umrissenen "Bausteinen einer zukunftsfähigen Politik". Auch die eigene empirische Forschung Pfriems kommt dabei immer wieder zur Geltung und hilft beim Nachvollziehen der Gedankengänge.
Dabei gibt sich Pfriem gewohnt engagiert und kämpferisch. Analytisch klar und unter ausgiebigen Verweisen auf gesellschaftstheoretische Anstoßgeber/innen diskutiert der Autor die Aspekte und bleibt dem im Geleit gegebenen roten Faden weitestgehend treu.
Das vorliegende Buch gibt somit einen umfassenden Überblick über die vielen Facetten der wissenschaftlichen Arbeit Reinhard Pfriems und fügt ihnen neue Aspekte hinzu. Zahlreiche Verweise ermöglichen den kritischen Nachvollzug und das vertiefte Studium einzelner Punkte. Für Menschen aus der unternehmerischen Praxis dürfte das Buch zu theorielastig sein. Besonders geeignet ist es hingegen für Menschen, die auf Demos, Klimacamps, Degrowth-Sommerschulen, in Hörsälen oder progressiven Unternehmungen einfordern, dass auch die Betriebswirtschaftslehre Verantwortung übernimmt und ihren Beitrag dazu leistet, Gegenwartskrisen anzugehen und zu überwinden.
"Als Motto über dem Schlusswort lesen wir: "Immer mehr Affen bezweifeln, dass die Menschen von ihnen abstammen." In der Tat, warum fällt es Menschen so schwer, sich in die Natur einzufügen, besonders im Kapitalismus? Als wären sie nicht selbst Naturwesen. Reinhard Pfriem, der einen Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Unternehmensführung und Betriebliche Umweltpolitik innehatte, bezieht sich nicht nur auf den späten Marx, der die schrankenlose Akkumulation von Mehrwert als Kern der Kapitallogik bloßlegte, sondern auch auf den frühen, der die Naturgebundenheit des Menschen betonte, im Übrigen sehr stark auf Joseph Schumpeters Theorie des Unternehmertums. Der Kapitalismus, sagt er mit Jason Moore, ist nicht bloß ein Wirtschaftssystem, sondern "eine Weise, Natur zu organisieren". Pfriem ist wichtig, dass heute auch Unternehmen nach dem besseren Verhältnis zur Natur suchen.
Dabei denkt er nicht an die Tesla-Fabrik von Elon Musk, den er einen "Überspringer-Unternehmer" nennt; Musks Idee, das Mars-Eis durch nuklearen Beschuss zum Schmelzen zu bringen, ist nur eine neue Illustration jener "humanistischen Euphorie", in der geglaubt wird, der Mensch könne alles. Unternehmen, die nicht grün zu sein behaupten, wird man heute kaum noch finden. Aber daraus folgt nicht im Umkehrschluss, dass alle Unternehmen, die es geben kann, dem "grünen Kapitalismus" huldigen müssen, der uns mit der Behauptung täuscht, Ökologie und Kapitallogik seien vereinbar.
Was ist denn das Unternehmerische? Allgemein gesprochen, so Pfriem, ein auf die Befriedigung von Bedürfnissen gerichtetes Handeln. Es ist als solches persönlich und "auf Neues, Anderes gerichtet". Wer eine andere Ökonomie anstrebt, aber nicht erneut eine Staatsökonomie sowjetischen Typs, kann sich fragen, welches andere Unternehmer:innentum sie hervorbringen wird, aber auch, ob es denn nicht heute schon Unternehmen gibt, die auf es hinarbeiten. Ja, es gibt sie - sie sind aber viel zu wenig bekannt.
Zum Beispiel die Textilfirma Manomana in Augsburg, die nur mit regionalen und ökologischen Rohstoffen und Materialien arbeitet; ihre 140 Beschäftigten sind zu 90 Prozent Frauen, Geringqualifizierte, Migranten, Ältere und so weiter. Oder die "Solidarische Landwirtschaft", in der die Lebensmittel nicht mehr über den Markt vertrieben werden, sondern sich in einem von allen Teilnehmern - nicht nur den Produzenten - selbst organisierten Wirtschaftskreislauf bewegen und wo für alle ersichtlich ist, welche Kosten anfallen und wohin das Geld fließt.
Pfriem zählt viele Unternehmen dieser Art auf, die es auch in der Energiewirtschaft und sogar im Bankwesen gibt (Regionalwert AG). Oft sind sie als Genossenschaften organisiert. Sie sind teilweise schon miteinander vernetzt, aber noch nicht hinreichend, wie Pfriem beklagt. Dazu gehört auch die Verbindung zwischen solchen Firmen und dem Wissen, das Universitäten beisteuern können. Auf diesem Feld ist Pfriem selber "unternehmerisch" tätig geworden, so mit seinem Engagement in den "Spiekerooger Klimagesprächen" und mit Beiträgen zu einer "Transformativen Wirtschaftswissenschaft".
In früheren Revolutionen spielte die Frage, ob ein Teil des Militärs auf die Seite des Volkes gezogen werden konnte, eine entscheidende Rolle. Heute ist es auch wichtig, dass schon im Kapitalismus eine "Fraktion" postkapitalistischer Unternehmen entsteht. Zu der, nebenbei gesagt, ja auch unsere Zeitung, der Freitag, gehört."
Die Neuerfindung des Unternehmertums - Solidarische Ökonomie, radikale Demokratie und kulturelle Evolution (2021) Themen, die in den Zukunftsdiskussionen eine zentrale Rolle spielen - der lange Titel ist bereits eine kurze Inhaltsangabe. Auf das Buch wurde ich durch einen Livetalk aufmerksam - und es ist das erste aus den Wirtschaftswissenschaften, das ich hier bespreche.
Reinhard Pfriem, emeritierter Prof. der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Oldenburg, Mitbegründer (1985) des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung, ist seit langem mit dem Themenfeld befasst - das Buch ist sein Opus Magnus und lässt sich durchaus als Zusammenfassung seines Lebenswerkes lesen. Es geht um die zukunftsfähige Neuverbindung von Ökonomie und Politik, um unternehmerische Verantwortung für nachhaltige Entwicklung. Gleich zu Beginn knüpft Pfriem an die Great Transformation von Karl Polanyi (21) an - und setzt damit einen Rahmen. Great Transformation bedeutete letztlich Industrialisierung, Marktwirtschaft und grenzenlose Wachstumsökonomie als gesellschaftliche Organisationsprinzipien. Vor dem Hintergrund ökologischer Risiken und Katastrophen, sozialer Verwerfungen und ökonomischer Krisen stellt sich die Frage nach einer lebenswerten Zukunft, einem guten Leben für alle, neu.
Pfriem geht es um eine Transformation vergleichbaren Ausmasses, bei der ausgerechnet Unternehmen als wichtigste Organisationskörper moderner kapitalistischer Gesellschaften (21) eine besondere Rolle zukommt. Vom Unternehmertum gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen, klassisch ist die des mittelständischen Eigentümers, neuerdings auch die der oft wie Popstars gefeierten Entrepreneure. Pfriem hält sich wenig mit diesen Ausformungen auf, er fasst zehn <>Merkmale und Wissensdimensionen transformativer Unternehmen (281 ff) zusammen.
Übergreifendes Postulat ist Enabling, das Möglichmachen - die Gestaltung von Gesellschaft durch unternehmerisches Handeln. Bereits vor einigen Jahren hatte Pfriem den Begriff der Ökonomik als Möglichkeitswissenschaft in die Welt gesetzt. In diesem Kontext sind Transformative Unternehmen Akteure des Wandels, einer Systemwende zu gemeinschaftsorientierten Formen des Wirtschaftens. Das Teilsystem Wirtschaft ist dominant. Eine derart von ökonomischen Kalkülen bestimmte Gesellschaft ist nur transformierbar, wenn die Ökonomie transformiert wird.
Die einzelnen Themenfelder werden in 15 übersichtlich angelegten Kapiteln behandelt. Es geht um transformative Unternehmen, Nachhaltigkeit, solidarische Ökonomie, radikale Demokratie, bis zum Entwurf einer Neuausrichtung der Wirtschaftswissenshcaften und als Ziellinie die Bausteine einer zukunftsfähigen Politik (415 ff). Darunter finden sich so oft diskutierte Themen wie Mobilitäts, - Energie- und Ernährungswende und ein Kurswechsel auf soziale Gerechtigkeit.
Zentral ist die Kritik an den aktuellen Wirtschaftswissenschaften, an ihrer Herauslösung aus gesellschaftswissenschaftlichen Zusammenhängen, insbesondere einer Mathematisierung der BWL. Pfriem bezeichnet die BWL, immerhin sein eigenes Fach, als implizite Rechtfertigungswissenschaft kapitalistischer Marktwirtschaften (128). Gegenentwurf ist eine Transformative Wirtschaftswissenschaft (369 ff), die den bestehenden Mainstream der Wirtschaftswissenschaften, der auf subjektunabhängige Objektivität, Identifikation von Gesetzmässigkeiten und Messbarkeit/Quantifizierbarkeit zielt (370; vgl. Pfriem 2000), ablöst, zumindest ergänzt: Eine Handlungswissenschaft, die Beiträge zur Bewältigung gesellschaftlicher Probleme leistet, Zukunft für die Menschen zu einem erstrebenswerten Projekt macht.
Genau wie die zeitgenössische BWL steht auch die aktuelle Soziologie, der er eine Ökonomievergessenheit attestiert, in der Kritik. Im Kapitel Gesellschaftstheoretische Sackgassen werden soziologische Autoren der letzten Jahre, das waren v.a. Hartmut Rosa mit dem Konzept der Resonanz und Andreas Reckwitz mit der Gesellschaft der Singularitäten, auf ihr Potential abgeklopft. Beide Bücher hatte ich hier im Blog rezensiert (Rez. Rosa; Rez. Reckwitz). So sinnvoll und eingängig das Konzept Resonanz grundsätzlich erscheint, so wenig überzeugt es als Grundlage einer Gesellschafttstheorie. Reckwitz stellt den im Konsum differenzierten singularistischen Lebensstil der Neuen Mittelschichten in den Vordergrund - Pfriem nennt es eine Engführung - und vernachlässigt gesellschaftliche Ungleichheiten. Allenfalls in später veröffentlichten Aufsätzen relativiert er eine an Konsumstilen ausgerichtete gesellschaftliche Schichtung. Nebenbei: unter dem Titel Spätmoderne in der Krise: Was leistet die Gesellschaftstheorie? erscheint im Oktober ein von beiden Autoren gemeinsam verfasstes Buch, dazu hier dann mehr.
Weiteres Feld der Auseinandersetzung ist Ulrich Bröcklings Das unternehmerische Selbst (2007), dem er einen sehr einseitigen Blick auf das Unternehmertum - allein ausgerichtet auf Markterfolg - vorhält.
Polanyi ist epochaler Bezugsrahmen, die Analysen von Thomas Piketty zu Ungleichheit und der Vertiefung der Spaltung zwischen arm und reich werden herangezogen. Auf Schumpeter geht der Blick auf die Rolle des Unternehmers incl. der Erkenntnis, dass unternehmerischer Erfolg und gesellschaftliches Wohlergehen auseinander treten können, zurück. Mit deutlicher Sympathie verweist Pfriem auf Frithjof Bergmanns Neue Arbeit, Neue Kultur: die wunderbare Formulierung "was sie wirklich, wirklich wollen” (57). Etwas wundert mich, dass die in den letzten Jahren oft diskutierten Arbeiten von Maja Goepel, die sich ebenso mit einer Transformativen Ökonomie befassen, nirgends erwähnt werden.
Die Neuerfindung des Unternehmertums ist ein programmatisches, oft erstaunlich radikal- utopisch, nicht durchgehend analytisch gehaltenes Buch - der Autor nennt es selber eher wissenschaftlich gehalten. Er setzt sich mit bestehenden Wissenschafts- bzw. Gedankengebäuden auseinander um einer Handlungswissenschaft zur Gestaltbarkeit von Zukunft den Weg zu bereiten. Weitere Umsetzung ist stark von einer Aufbruchsstimmung in der Gesellschaft (444) bestimmt. Und manches scheint, dass jetzt der Zeitpunkt dazu ist.
481 Seiten sind per se eine Menge Material, die wahrscheinlich selten in einem Durchgang gelesen werden. Man kann das Buch als ein Compendium, eine Art Handbuch zu einer Transformativen Wirtschaftswissenschaft sehen und nutzen. Ein übersichtliches Inhaltsverzeichnis erleichtert das Auffinden der Themenstränge, macht sie den laufenden Zukunftsdiskussionen zugänglich.
Zum Schluss der Gedanke der Co-Evolution von Wissenschaft und Gesellschaft (könnte man das etwa Scientogenese nennen?), der ganz sicher an das Konzept Technogenese erinnert. In den Gesellschaftswissenschaften lassen sich immer Phasen und Epochen finden, in denen Forschungsfragen einmal eingefahrenen Mustern folgen. Hier ist ein Werk, das neue Wege beschreite will - dem kann man zustimmen bzw. sich damit auseinandersetzen.
Den Titel des Einbands ziert übrigens ein Werk von Otto Freundlich (1878-1943), ein zu unrecht weniger bekannter Pionier abstrakter Malerei, der wie so viele andere von den Nazis ermordet wurde.
Die Neuerfindung des Unternehmertums: Ein Autorengespräch.