299 pp.
29.80 EUR
(incl. VAT and Free shipping)
ISBN 978-3-7316-1565-1
Wir stehen nicht, wie verbreitet behauptet wird, kurz vor der Machtübernahme durch Computer (oder Künstliche Intelligenzen oder Algorithmen) und auch nicht kurz vor der technologischen Singularität. Unübersehbar ist aber die in großen Schritten fortschreitende Veränderung der Gesellschaft. Digitale Technologien wälzen die Machtverhältnisse grundlegend um. Wirtschaftliche und politische Macht konzentriert sich bei Akteuren, die über technische Mittel der gesellschaftlichen Steuerung und der Verhaltensbeeinflussung verfügen. Auf der Grundlage weltweiter technisch-organisatorischer Plattformen und Infrastrukturen hat sich der gesellschaftliche Zusammenhalt in wenigen Jahren grundlegend gewandelt. Staatliches Handeln verliert an Bedeutung; staatliche Souveränität wird überlagert und teilweise ausgehebelt. Es entstehen neue Formen von auf den Technikbesitz gegründeter Herrschaft. Wie im mittelalterlichen Feudalismus binden sie die Menschen an die nunmehr digitale Scholle. Diese Zusammenhänge untersucht der vorliegende Band in unterschiedlichen Feldern und aus verschiedenen Perspektiven.
"Und prompt taucht Corona in einer Textsammlung über «Die gesellschaftliche Macht digitaler Technologien», die im gleichen Verlag erschienen ist, mit konträrer Akzentsetzung auf. Hier werden Drahtzieher der Impfkampagne im Umfeld von mit «Utopien der Biomacht» operierenden Konzernen verortet. Eine mit diesen verbundene Digitaltechnokratie hätte das Zusammenspiel ihrer Netzwerke quasi global üben können. Human Genome Projekt, Rockefeller Foundation, World Economic Forum ... Das klingt wie Verschwörungstheorie, und dass Harari beiläufig als «Vordenker» von Schwab bezeichnet wird, wirkt wenig seriös. Doch dass viele Elemente der heute zivil etikettierten Maschinerie - auch das World Wide Web - im Militärischen wurzeln, wird belegt. Rainer Fischbach, dessen Betrachtung über die «Informatik als Treiber globaler Bedrohungen» vom Mitte des letzten Jahrhunderts ausgerufenen Atomzeitalter ausgeht, hält «ange- messene» Angst angesichts der aktuellen Dynamik für berechtigt. Digital organisierte Macht sei nicht weniger gewaltig als atomar gestützte, auch deren Wirkungen könnten verheerend sein - ökonomisch, ökologisch, sozial, kulturell. Durch einschlägige Forschung oder als Informatik-Praktiker und mit zivilgesellschaftlicher Aktion versuchen darum einige der hier Schreibenden schon seit einem halben Jahrhundert zu zukunftsträchtigeren Entwicklungen beizutragen."
Jörg Pohle, Rainer Fischbach und Klaus Lenk haben einen Sammelband herausgegeben, der sich mit der Umwälzung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse durch die neuen Informations- und Kommunikationstechniken beschäftigt - ein Aspekt, der in der bisherigen, auch kritischen Literatur noch eine eher untergeordnete Rolle spielt.
Bereits breit diskutiert ist die Strategie der dominierenden Tech-Konzerne, die darin besteht, "Fußangeln" - wie die Autoren es nennen - für die Nutzung von Diensten auf Plattformen als neue Methode der Wertabschöpfung auszulegen. Der ökonomische, d.h. die Verwertung immer umfangreicherer und komplexerer Daten über das Bewusstsein und Verhalten der Nutzer, betreffende Aspekt werde aber von einem noch wichtigeren begleitet: der radikalen Umwälzung der gesellschaftlichen Machtstrukturen.
Dies beruhe auf der Fähigkeit, berechenbare Abbilder menschlichen Bewusstseins und Verhaltens zu erzeugen, die der detaillierten Steuerung von Mensch und Gesellschaft dienen, einer "digital unterstützten Verhaltenspolitik" (10). Damit entstehe eine Art von privater Weltregierung, die die Macht der Staaten überlagere und relativiere, eine "funktionale Souveränität" der Tech-Konzerne. Sie verfügten "über technische Mittel, die nicht nur als Waffen, sondern auch als strukturelle, das Leben der Menschen kontrollierende, steuernde, sogar einpferchende Gewalt fungieren (12). Es entstehe eine neue Art von "sanftem", von privaten Kräften geprägten, also sozusagen "zivilgesellschaftlichem" Totalitarismus. Die Art der Einbindung der Menschen in Natur und Gesellschaft verändere sich damit grundlegend. Sie leben immer stärker in ihrer datenmäßigen Spiegelung, etwa wenn die Daten des Fitnesstrackers bedeutender werden für die Wahrnehmung des Körperzustandes als das eigene Gefühl.
Diese Entwicklung sei nicht alternativlos, abgesehen davon, dass die Komplexität der Systeme diese immer störanfälliger werden lassen. Der vor Kurzem stattgefundene weltweite Zusammenbruch der Windows-Betriebssysteme aufgrund eines fehlerhaften Sicherheitsupdates weist darauf hin. Notwendig sei die Mobilisierung von Widerstand, wozu es auch Ansätze gebe. Hier bleiben die Autoren allerdings eher noch im Vagen, was wohl den realen Verhältnissen entspricht.
Die in dem Band versammelten Aufsätze beleuchten die so umrissene Entwicklung aus verschiedenen Aspekten, bis hin zu den Auswirkungen der Informatisierung von Unterricht und Lernen, die "Datifizierung der Pädagogik". Auch wenn es sich dabei erst um vorläufige Untersuchungsansätze handelt, ist das Buch sehr lesenswert.
Grundfragen und Entstehungszusammenhänge von Informatiksystemen
Informatisierung, Unterricht und Lernen
Perspektiven und Formen der informationstechnischen Produktion öffentlicher Sicherheit
Von der Atombombe zur Biomacht
Herrschaft durch delegierte Automaten
Modellwelten, Weltmodelle und smarte Objekte
Zur Kritik des ‚Dataismus‘
Neue Daten, neues Wissen?
Pädagogik zwischen Kommerz und Technisierung