Aus der Einleitung:

Methodenvielfalt in den Wirtschaftswissenschaften bedeutet bezogen auf die (Theorie der) Wirtschaftspolitik eine breit fundierte Strategiewahl, die möglicherweise auch konzeptionell verschiedene Ansätze nutzt, um anstehende Probleme zu bewältigen. Dies ist keineswegs zwangsläufig ein Anzeichen für Orientierungslosigkeit, sondern schlicht die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass jede einzelne Theorie aufgrund ihres analytischen Blickwinkels das komplexe Marktgeschehen nur partiell erfassen kann. Dennoch stellt sich bei einer analytisch „flexiblen“ Unterfütterung der Wirtschaftspolitik ein doppeltes Problem: Zum einen kann die Zuordnung zwischen Zielen und Instrumenten zu Konflikten führen, wenn sich die zugrundeliegenden Theorien in ihren Wirkungsmechanismen unterscheiden. Zum anderen wird die Außendarstellung der Politik schwierig, da die Kommunikation divergierender „Weltbilder“ zu Glaubwürdigkeitsdefiziten führen kann. Zu befürchten sind Irritationen privater Erwartungen, von deren Mithilfe die Effizienz geldpolitischer Maßnahmen in hohem Maße abhängt. Die vieldiskutierte Zwei-Säulen-Strategie der EZB stellt ein prominentes Beispiel für die angesprochene Problematik dar. Sie wurde bei ihrer Einführung von Beobachtern als eine Art politischer Kompromiss zwischen der Bundesbanktradition und modernen Ansätzen in der Geld-politik interpretiert, der nicht zuletzt das Ziel hatte, Vorbehalte gegenüber dem Euro in der deutschen Öffentlichkeit zu zerstreuen und die EZB ein Stückweit mit geborgter Reputation auszustatten. Die Schöpfer dieser Strategie betonten dagegen einerseits die besonderen Unsicherheiten zu Beginn der Währungsunion, die eine enge Festlegung auf einen einzigen Ansatzpunkt geldpolitischer Entscheidungen ausschlossen, und andererseits die inhaltliche Komplementarität beider Säulen, die durchaus eine konsistente Konzeption abbildeten. Jedoch konnte auch eine Überprüfung und Modifikation der Strategie durch die EZB viele Kritiker nicht überzeugen. In der weltweiten Finanzkrise der Jahre 2007 ff schien die Zwei-Säulen-Strategie zudem weder aufgrund ihrer prognostischen noch ihrer instrumentellen Fähigkeiten besonders hilfreich zu sein. Wie andere Notenbanken wurde auch die EZB von der Krise überrascht und rettete sich in ein diskretionäres, aber durchaus erfolgreiches Krisenmanagement. Damit stellt sich die Frage, ob und wie die Zwei-Säulen-Strategie den tiefen Einbruch geldwirtschaftlicher Gewissheiten überlebt, den diese Krise verursacht hat. Im folgenden wird diese Strategie zunächst noch einmal im Hinblick auf die Bewältigung der klassischen Aufgabe einer Inflationsstabilisierung untersucht. Danach sind die Möglichkeiten auszuloten, die diese Strategie bietet, um das neue duale Stabilitätsproblem zu lösen: die Bewahrung des Geldwertes auf dem Gütermarkt und die Verhinderung von spekulativen Blasen auf den Vermögensmärkten.