450 pp.
36.80 EUR
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ISBN 978-3-89518-510-6
Kein anderer Lebensbereich bestimmt die soziale Selbstwahrnehmung des modernen abendländischen Menschen mehr als seine berufliche Arbeit. Neben der Ermöglichung materieller und sozialer Chancen bildet sie neben der Familie den wohl wichtigsten Bereich sozialer Identifikation. Der Zwang zur Arbeit scheint dem modernen Menschen inhärent. Nicht materielle Not zwingt ihn zur Arbeit, sondern er selbst ist es, der sich die "rastlose Berufsarbeit" als Zwang auferlegt. Mindestens seit Beginn der Neuzeit wird individuelle Berufsarbeit Ausdruck und Ausweis erfolgreicher Lebensführung.
Allerdings hat sich im Zeitablauf die Vorstellung dessen, was innerhalb je unterschiedlicher Kulturen und sozialer Kontexte als Arbeit verstanden wurde, erheblich gewandelt. Das moderne Arbeitsverständnis ist nicht das Ergebnis einer technischen und ökonomischen Entwicklung, sondern umgekehrt schuf erst ein geändertes soziales und kulturelles Verständnis von Arbeit Raum für neue Techniken und Arbeitsformen und erlaubte so die Entwicklung der neuzeitlichen Ökonomie. Die historische Rekonstruktion des Arbeitsbegriffes von der Antike bis zur Gegenwart macht deutlich, dass das Arbeitsverständnis vor allem durch den kulturellen Kontext der jeweiligen Gesellschaften geprägt ist.
Ähnlich, wie sich die gesellschaftlichen Vorstellungen bezüglich Familie oder Moral im Zeitablauf und in Abhängigkeit des je spezifischen kulturellen Kontextes verändern, unterliegt auch der Begriff der Arbeit einem ähnlichen Bedeutungswandel. Aßländer geht es in seiner Habilitationsschrift darum, Arbeit als "Kulturbegriff" zu entwickeln. Diese Sichtweise von Arbeit als Kulturbegriff bedeutet dabei auch den Verzicht auf eine klare Definition von Arbeit. Zwar lassen sich die verschiedenen Vorstellungen dessen, was als Arbeit innerhalb verschiedener Gesellschaften angesehen wird, analysieren und innerhalb gewisser Grenzen miteinander vergleichen. Dies kann aber stets nur hinsichtlich einzelner Aspekte geschehen, so etwa hinsichtlich der sozialen Funktion von Arbeit oder deren rechtlichen Status innerhalb der jeweiligen Gesellschaften.
Ausgehend von den Debatten um die "Zukunft der Arbeit" analysiert Michael Aßländer in seiner Habilitationsschrift die Bedeutung der Arbeit im Wandel der Zeiten. Entgegen der Ankündigung im Titel handelt es sich nicht wirklich um eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, sondern um eine iddengeschichtliche Abhandlung. Untersucht werden theoretische Reflexionen, aus denen der Autor, zuweilen etwas vorschnell, Rückschlüsse auf die sozialen Verhältnisse zieht. Als Ausgangsthese formuliert er, das moderne Arbeitsverständnis sei nicht das Ergebnis technischer und ökonomischer Entwicklung, sondern umgekehrt habe erst ein geändertes Verständnis von Arbeit Raum für neue Techniken und Arbeitsformen geschaffen.
Insgesamt ist das Buch ein interessanter Beitrag zur aktuellen Diskussion um den Stellenwert der Arbeit, für den Historiker bietet es dagegen wenig Neues.
"Arbeit bestimmt und bestimmte das Leben der Menschen. Je nach Epoche verbrachten Menschen ein Drittel bis die Hälfte ihres Lebens mit der Ausübung einer (bezahlten) Tätigkeit. In seiner Habilitationsschrift untersucht Michael Aßländer die europäische Entwicklung der Arbeit seit der Antike. Die zentrale These Aßländers ist dabei, dass das moderne Arbeitsverständnis ein Ergebnis der sich veränderten sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen ist, und nicht der technischen und ökonomischen Entwicklung.
Während in der Antike Menschen, die sich ihren Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen mussten, als minderprivilegiert abstempelte wurden, änderte sich das im Mittelalter. Arbeit wurde hier als göttlicher Fluch empfunden. In der Lehre von den drei Ständen wird das nun abgemildert und Arbeit gilt nicht mehr als moralisch minderwertig. Die mittelalterliche Stadt und damit die Ausbildung des selbständigen Handwerks haben viel zur Wandlung von Arbeit beigetragen. In der Neuzeit wird Arbeit mit dem Aufstieg des Bürgertums neu definiert: Arbeit und Erwerb wurden zu einer Begründung der sozialen Mobilität. Wer nicht arbeitet, konnte auch nicht am Gemeinwohl teilhaben.
Aßländer konstruiert zwei idealtypische Verständnisweisen. Das aristokratische Verständnis von Arbeit sieht durch Erwerb keine sozialen Rechte vor. Das bürgerliche Modell herrscht dagegen in der Neuzeit vor: Die individuelle Verbesserung der sozialen Lage durch Arbeit.
Vor diesem Hintergrund diskutiert Aßländer die aktuellen soziologischen und ökonomischen Debatten um die Zukunft der Arbeit. Dabei wird besonders die fehlende kulturelle Dimension kritisiert. Arbeit in der, obwohl seit dem 19. Jahrhundert einem starken Formwandel unterworfen, Bürgergesellschaft ist ein Versprechen auf Teilhabe an der Gesellschaft.
Insgesamt bietet Michael Aßländer einen interessanten und vor allem anspruchsvollen Überblick über die Geschichte menschlicher Arbeit seit der Antike. Die zahlreiche, z.T. sehr langen Zitate erschweren die Lektüre nicht unerheblich. Dennoch ist Aßländers Untersuchung gut lesbar. Inhaltlich gibt es ebenfalls wenig Grund zur Kritik. Aßländers Modellentwürfe, die als Folie für die Bewertung der aktuellen Entwicklungsstränge dienen, können im großen und Ganzen überzeugen. Wenn auch die Gefahr besteht durch die Bildung von Idealtypen eine Repräsentativität zu schaffen, die die Vielschichtigkeit von Arbeitsverständnissen bisweilen übersieht. Im Kapitel über die Antike hätte zudem die Heranziehung neuerer Literatur nicht geschadet. Die geschlossene Hauswirtschaft ist von der Forschung seit einigen Jahren als nur eingeschränkt aussagekräftig eingestuft worden.
"Dieses Buch reiht sich in die stark interdisziplinär geprägte geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Arbeit ein, die neben Praktiken insbesondere auch die Bedeutungen und Bewertungen von Arbeit ins Zentrum der Analyse rückt. Aßländer wählt dabei ein Verfahren, das Vor- und Nachteile aufweist: Anhand einer hermeneutischen Annäherung an ausgewählte Beispiele der europäischen 'Höhenkammliteratur' seit der griechischen Antike sollen durch die Isolierung jeweils als allgemein erkannter Merkmale Idealtypen entwickelt werden, mittels derer aktuelle sozialwissenschaftliche Debatten historisch eingeordnet werden können. Diese langfristige Perspektive erlaubt einerseits, voreilige Schlüsse auf lineare Entwicklungen zu vermeiden und rückt die vielfach wirkmächtigen Traditionen des Arbeitsverständnisses in den Blick. Gleichwohl liegen auch die Nachteile dieser Vorgangsweise auf der Hand: Eine Darstellung, die grundsätzlich den Anspruch erhebt, die europäische Geschichte der Arbeit seit der Antike so zu erfassen, dass daraus Idealtypen gebildet werden können, unterliegt der Gefahr, vorschnell das für repräsentativ zu halten, was aus der 'Höhenkammliteratur' gewonnen wird, ohne die Vielschichtigkeit und auch Widersprüchlichkeit von Arbeitsverständnissen und -verhältnissen hinreichend berücksichtigen zu können. ...
Davon abgesehen, weist das Buch von Aßländer interessante Perspektiven auf, die insbesondere in seiner Analyse sozialwissenschaftlicher Modelle mit Hilfe der aus der historischen Untersuchung gewonnenen Kategorien deutlich werden. Das Buch vermittelt damit einen gut lesbaren Überblick über die Begriffsgeschichte von Arbeit, wenn auch manchmal vorschnell auf gesamtgesellschaftliche Mentalitäten geschlossen wird."