"Wirtschaftswissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung" · volume 20
351 pp.
36.80 EUR
(incl. VAT and Free shipping)
ISBN 978-3-7316-1383-1
Gewinner des Hans-Christoph-Binswanger-Preises 2019
Hans Christoph Binswanger (1929-2018) gilt als Pionier der Umweltökonomie. Aber er scheint mit seinem wissenschaftlichen Kernanliegen bisher weitgehend unverstanden. Seine Theorie der "Wachstumsspirale" kritisiert die neoklassisch geprägte Mainstream-Ökonomie fundamental. Diese sei blind für den Wachstumszwang, der mit der modernen Geldwirtschaft einhergehe. Ohne Wachstum drohe ein katastrophaler Schrumpfungsprozess. Andererseits gefährde anhaltendes Wachstum die Tragfähigkeit der ökologischen Systeme. Auch die (post-)keynesianische Kritik der Neoklassik übersehe dieses Problem, weshalb es bis heute an wirksamen Perspektiven für eine nachhaltige Wirtschaft fehle. Für seine eigene Theorie nahm Binswanger in Anspruch, das ökonomische Geschehen erstmals seit der Industrialisierung widerspruchsfrei und wirklichkeitsgemäß erfassen zu können. Die richtige Analyse galt ihm als Voraussetzung für nachhaltige Lösungen in Politik und Wirtschaft.
Simon Mugier untersucht, welche ökonomischen und soziologischen (Vor-)Urteile bisher daran hindern, die umfassende gesellschaftliche Bedeutung der Theorie der Wachstumsspirale anzuerkennen. Er entdeckt dabei auch weniger offensichtliche Implikationen, die mit der sozialen Frage zusammenhängen. Das Wirtschaftswachstum schadet nicht nur der Umwelt, sondern korrumpiert auch systematisch die gesellschaftliche Solidarität.
In seinem Spätwerk "Die Wachstumsspirale", veröffentlicht 2006, stellt der Wirtschaftswissenschaftler Hans Christoph Binswanger die vorherrschende neoklassische Wirtschaftstheorie radikal in Frage. Die Neoklassik geht davon aus, dass sich die Wirtschaft in einem Kreislauf bewegt. Demnach sorgen der abnehmende Grenzertrag der Produktion und der abnehmende Grenznutzen des Konsums dafür, dass sich Angebot und Nachfrage langfristig einpendeln und damit ein Gleichgewicht bilden. Der technische Fortschritt könne vorübergehend zwar ein Wachstum bewirken, doch er ist laut dem neoklassischen Ökonom Robert Solow "exogen", kommt also von aussen oder fällt, wie H.C. Binswanger spottete, "wie Manna vom Himmel".
Die neoklassische Kreislauf-Theorie dominiert heute die volkswirtschaftlichen Lehrbücher. Sie lässt jedoch ausser Acht, dass die real existierende Marktwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg stetig und mit wenigen Unterbrüchen wächst. Die Neoklassik eigne sich darum nicht, das Wachstum der Wirtschaft hinreichend zu erklären, kritisiert H.C. Binswanger. Darum stellt er der neoklassischen Kreislauf- seine eigene alternative Theorie entgegen, eben die Theorie der "Wachstumsspirale". Darin vertritt er die These, die heutige Geldwirtschaft dränge nicht nur zum Wachstum, sondern unterliege einem strukturellen Zwang zum Wachstum.
Vereinfacht lässt sich Binswangers These wie folgt zusammenfassen: Der Wachstumszwang resultiert im Wesentlichen aus dem Gewinn, den Unternehmen und andere Investoren für das Risiko ihrer Investition erwarten. Denn ohne Aussicht auf Gewinn würden sie nicht investieren. Weil ein Gewinn immer erst nach getätigter Investition anfallen kann, müssen Investitionen voraus finanziert werden. Dazu braucht es Geld, das die Banken schöpfen. Die Wirkung aus Geldschöpfung, Investition und Gewinn, aber auch die Entnahme von Rohstoffen und Energie aus der Natur, treibt die Spirale aufwärts.
Ist kein Gewinn zu erwarten, fallen Investitionen, Geldschöpfung und Wachstum aus. Damit aber bleibt die Spirale nicht einfach stehen, sondern bewegt sich abwärts. Die Alternative zu Wachstum sei darum nicht Stabilität, die aus ökologischen Gründen anzustreben wäre, sondern Schrumpfung. Weil Binswanger eine längerdauernde Schrumpfung ausschliesst, geht er von einem Wachstumszwang aus.
Mathias Binswanger kam 13 Jahre später, mit zum Teil anderen empirischen Belegen, zum gleichen Schluss wie sein - 2018 verstorbener - Vater und veröffentlichte 2019 seine Erkenntnis im Buch "Der Wachstumszwang" (siehe Infosperber: "Der Wachstumszwang - und seine absurden Folgen")
In seiner Dissertation unter dem Titel "Wirtschaftswachstum und soziale Frage - Zur soziologischen Bedeutung der ökonomischen Theorie von Hans Christoph Binswanger", ebenfalls 2019 veröffentlicht, untersuchte der Soziologe Simon Mugier die Stichhaltigkeit von Binswangers Theorien und suchte nach Möglichkeiten, diese Theorie mit der Soziologie zu verknüpfen.
Das alles ist ziemlich komplex. Das nachfolgende Gespräch von Infosperber-Redaktor Hanspeter Guggenbühl mit Autor Simon Mugier soll helfen, den Nebel etwas zu lichten.
[Das Gespräch zwischen S. Mugier und H. Guggenbühl lesen Sie unter "Rund ums Buch".]
Simon Mugier erhält für seine Schrift "Wirtschaftswachstum und soziale Frage" den Hans-Christoph Binswanger Preis 2019. Die Preisverleihung wird im Rahmen der Oikos Konferenz an der Universität St.Gallen am 26. November 2019, ca. 18.00 Uhr stattfinden. Herzlichen Glückwunsch!