"Beiträge zur Geschichte der deutschsprachigen Ökonomie" · volume 34
2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2010
248 pp.
26.80 EUR
(incl. VAT and Free shipping)
ISBN 978-3-89518-799-5
In der Diskussion um die Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft wird zunehmend auf die wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Lehren Wilhelm Röpkes (1899-1966) zurückgegriffen. Der Grund: Er hat bedenkenswerte Antworten auf Fragen gegeben, die heute so aktuell sind wie damals - vor allem die nach der Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft im Sinne einer "civitas humana", dem moralischen und kulturellen Fundament der Marktwirtschaft "jenseits von Angebot und Nachfrage", der Vereinbarkeit von ökonomischer Effizienz und sozialer Gerechtigkeit und nicht zuletzt die nach dem "wahren Internationalismus", der die Vorteile einer globalen Arbeitsteilung nutzt, aber dennoch den Einzelnen nicht entwurzelt und ihm einen überschaubaren Lebensbereich erhält.
Der Band enthält Beiträge, die im Zusammenhang mit einer Tagung des Wilhelm-Röpke-Instituts in Erfurt im Februar 2008 verfasst worden sind.
Wilhelm Röpkes Werk zur ordnungspolitischen Orientierung nach der Krise. Aufarbeitung von Fragen, die über die Grenzen der Ökonomie hinausgehen
Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise hat einen unvermuteten Nebeneffekt: Das Modell der «Sozialen Marktwirtschaft» erlebt eine Renaissance. Und auch seine ordoliberalen Vordenker sind wieder en vogue. Auf einmal gelten sie nicht mehr als unerträglich normativ, romantisch und altmodisch. Im Gegenteil, man ist betroffen von der Parallelität der Fragen, die sich damals stellten und heute stellen. Vor allem aber zieht man den Hut vor ihrem moralischen Ernst, der philosophischen Breite ihres Blicks und ihrem Engagement. Derlei ist heute rar.Mensch und Gesellschaft
Der von Heinz Rieter und Joachim Zweynert herausgegebene Tagungsband ist eine schöne Hommage an Wilhelm Röpke (1899-1966), der viele Jahre in Genf gelehrt hat. Er sei jemand gewesen, der nicht etwa «bei der ökonomischen Theorie verharrt, sondern die Gesetze der Wirtschaft in ihren Beziehungen und Wirkungen auf Mensch und Gesellschaft weiterdenkt und bewertet», schreibt Bernhard Vogel, der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, treffend.
Röpkes wichtigste Werke waren wohl die «Gesellschaftskrisis der Gegenwart» (1942), die «Civitas humana» (1944) sowie «Jenseits von Angebot und Nachfrage» (1958). Sein kultursoziologisch angereicherter Denkansatz führte Röpke zu der Einsicht, dass jede Gesellschaft ein Wertefundament braucht. Lange vor dem heute vielzitierten Ernst-Wolfgang Böckenförde äusserte sich Röpke besorgt: «Markt und Wettbewerb, das Spiel von Angebot und Nachfrage erzeugen jene sittlichen Reserven nicht, sie setzen sie voraus und verbrauchen sie. Sie müssen in den Bereichen jenseits des Marktes erzeugt werden.»
Man muss diese Behauptung, der Markt erzeuge selbst keinerlei Moral, indessen nicht teilen. Wie Adam Smith gezeigt hat, entstehen nicht nur Preise im Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, sondern die menschliche Interaktion in der Gesellschaft bringt auch ethische Normen und Gebräuche hervor. Das Prinzip, das da am Werk ist, ist die Reziprozität.
Die moralische Prioritätenliste, die Röpke aufstellt, ist dennoch gerade heute wegweisend. Für ihn war klar: «Das Mass der Wirtschaft ist der Mensch. Das Mass des Menschen ist sein Verhältnis zu Gott.» Besonders wichtig waren für ihn, wie Joachim Starbatty hervorhebt, die Freiheit für die Lebensplanung jedes Einzelnen, die Verantwortung für den Nächsten und die gesellschaftliche Verpflichtung der Eliten («nobilitas naturalis»). Starbatty zeigt, wie wenig diese Werte heute verwirklicht sind, auch durch die unmündig machende «Deputatwirtschaft» in der sozialen Sicherung. Verantwortungsgefühl
Zudem macht er in der Politik einen Sehfehler aus. So werde das Ziel der «sozialen Gerechtigkeit» immer rückwärtsgewandt verstanden, also korrektiv. Besser wäre seiner Ansicht nach eine vorwärtsgerichtete Politik, gerichtet auf «die gute Ausbildung von Arbeitskräften, die Durchlässigkeit der Gesellschaft und ein soziales Klima, das Beschäftigung fördert».
Verantwortungsgefühl war einer der herausragenden Wesenszüge des in einer norddeutschen Landarztfamilie aufgewachsenen Röpke. Das arbeitet Hans Jörg Hennecke in seinem so feinfühligen wie kenntnisreichen Essay über dessen Selbstverständnis heraus, um dann Lehren für den unterschwellig bis heute akuten Werturteilsstreit in der Wissenschaft zu ziehen. Röpke zählte stets zu den Aufrechten. Berühmt ist das Flugblatt, in dem er 1930 vor den Reichstagswahlen warnte: «Niemand, der nationalsozialistisch wählt, soll später sagen können, er habe nicht gewusst, was daraus entstehen könne. Er soll wissen, dass er Chaos statt Ordnung, Zerstörung statt Aufbau wählt!» 1933 musste Röpke fliehen; er fand Aufnahme in der Türkei.
Alltagstaugliche Theorien
Die Forderung Max Webers nach einer von Werturteilen freien Wissenschaft war Röpke durchaus sympathisch; die Erfahrung freilich brachte für ihn die Erkenntnis, dass eine solche Separierung nicht auf allen Ebenen gelten könne. Wie Hennecke erklärt, greift nämlich eine Beratung zu kurz, die nur Alternativszenarien darüber anbietet, an welcher Stellschraube die Politik drehen muss, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen.
Viel entscheidender sei die Orientierungshilfe mit Blick auf Werturteile und Ziele, gespeist aus «alltagstauglich eingedampften Theorien über Ordnungszusammenhänge der Welt». Solche Normativität sei nicht nur erlaubt - nein, sie sei vielmehr sogar ein konstitutives Element der Verantwortung des Wissenschafters. Von dieser Einsicht können heutige Ökonomen nur lernen.
"Wilhelm Röpke (1899 bis 1966) war vor allem ein mutiger Mann. Als die Weltwirtschaftskrise in den frühen dreißiger Jahren Deutschland in ihren Griff nahm und die radikalen politischen Kräfte von ihr profitierten, trat er als überzeugter Liberaler für staatliche Konjunkturpolitik ein. Auch als der Siegeszug der Nationalsozialisten nicht mehr aufzuhalten war, kämpfte Röpke publizistisch gegen die braune Diktatur - was ihn im Jahre 1933 in die Emigration zwang.
Während Röpke heute wahrscheinlich noch am ehesten als ein zwischen Ordoliberalismus und konvervativer Kulturkritik oszillierender Sozialphilosoph und Publizist bekannt ist, stellt Elisabeth Allgoewer seine wichtigste wissenschaftliche Leistung vor. Sie besteht in einer durch die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre beeinflussten Konjunkturtheorie. Ihre Grundaussage lautet, dass in den meisten Fällen Krisen als notwendige Korrekturen vorangegangener Exzesse zu verstehen sind und keinerlei Staatseingriffe bedürfen. In seltenen Fällen entsteht jedoch eine "sekundäre Depression" mit so schweren wirtschaftlichen Schäden, dass Konkunturpolitik notwendig wird. Röpkes Konjunkturtheorie ist seit langem in Vergessenheit geraten, aber vielleicht motiviert die aktuelle Krise den einen oder anderen Ökonomen dazu, noch einmal darauf zu schauen."
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