Herausgegeben von Michele Cangiani, Kari Polanyi-Levitt und Claus Thomasberger
339 pp.
29.80 EUR
(incl. VAT and Free shipping)
ISBN 978-3-89518-476-5
Personenregister
Der letzte Band unserer dreibändigen Ausgabe der Arbeiten von Karl Polanyi enthält jene Schriften, in denen er sich mit grundlegenden gesellschaftstheoretischen Fragen auseinandersetzt. Im ersten Teil des Bandes veröffentlichen wir eine Reihe von in Wien verfassten Manuskripten aus den zwanziger Jahren, in denen Polanyi sein Verhältnis zu Marx und zum Marxismus seiner Epoche, zur Soziologie (Max Weber) und zum Liberalismus (Österreichische Schule der Nationalökonomie) herausarbeitet. Die Kritik der Entfremdung der Menschen (in der "wissenschaftlichen Weltanschauung" wie in der kapitalistischen Realität) bildet den Springpunkt. Weil mit der Idee der menschlichen Freiheit unvereinbar, wendet er sich vehement gegen jede Form des ökonomischen Determinismus. Im zweiten Teil wird sichtbar, warum - und in welcher Form - Polanyi für eine sozialistische Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft eintritt. Er entwickelt konzeptionelle Vorstellungen, wie das Verhältnis von Produzenten und Konsumenten übersichtlich gestaltet (Sozialistische Rechnungslegung) und der Markt bewusst einer demokratischen Gesellschaft untergeordnet werden könnte. Es folgen mehrere in England verfasste Aufsätzen und Manuskripte aus den dreißiger Jahren, in denen er sich mit den Grundlagen des Faschismus (Spann), dem Verhältnis von Marxismus und Faschismus, und schließlich der Beziehung von Marxismus und Christentum auseinandersetzt. Dabei wird nicht nur deutlich, welche Spuren die Niederlage des Sozialismus in Polanyis Denken hinterlässt, sondern auch, auf welche konzeptionellen Pfeiler sich sein bekanntestes Werk, The Great Transformation, stützt. Mehrere Aufsätze über Rousseau, die Möglichkeiten einer freien Gesellschaft und die Bedeutung der parlamentarischen Demokratie - während bzw. kurz nach dem Zweiten Weltkrieg verfasst - schließen den Band. Ein großer Teil der Schriften wird hier zum ersten Mal veröffentlicht.
Die Aufsatzsammlung insgesamt ist nach inhaltlichen Schwerpunkten in drei Bände gruppiert. Band 1 enthält die Analysen zu Wirtschaft, Weltwirtschaftskrise und Wirtschaftspolitik, Band 2 die internationale Politik zwischen den Weltkriegen.
"Lasst die Figer von der Profitgier! Hört auf, die Arbeit zu vermarkten! Bettet die Wirtschaft im Leben ein! Ist es an der Zeit, wieder Karl Polanyi zu lesen? Er war der Denker des eingefangenen Kapitalismus"
"Karl Polanyi ist einer der rätselhaftesten Denker des zwanzigsten Jahrhunderts. Er ist Essayist, Phamphletist, glänzender Stilist und immens gebildeter Wirtschaftshistoriker in einem. Polanyi war nie richtig modern und klingt doch in Krisenzeiten wie diesen so aktuell wie kaum ein Zweiter. Weil er eine rückwärtsgewandte Utopie des guten Lebens träumte, in dem der Austausch der Menschen untereinander nicht nur von der Profitgier getrieben sein soll, ist er schon lange der Geheimtipp der Soziologen und Anthropologen, während die meisten Ökonomen ihn hartnäckig ignorieren. Er wurde stets viel und gerne zitiert, aber wenig gelesen. Und doch hat die 'Great Transformation' immer schon, sozusagen als Strom des Unbewussten, einen kaum zu überschätzenden Einfluss: Polanyi artikuliert die Erfahrung vieler - einerlei, ob sie sich als Konservative oder Linke verstehen -, die den Eindruck haben, wir hätten uns in den vergangenen Jahrzehnten zu sehr dem Ökonomischen unterworfen, und daran habe das gute Leben "jenseits von Angebot und Nachfrage" (Wilhelm Röpke) Schaden genommen. Das schuf allenthalben ein diffuses Unbehagen in der Zivilisation. Weil heute aber kaum mehr einer dem Heilsversprechen des Sozialismus glaubt und weil zugleich viele vom Wohlstandsversprechen liberaler Märkte enttäuscht und vom ökonomischen Imperialismus angewidert wurden, könnte Polanyi zum Helden jener werden, die darauf hoffen, die entfesselte Ökonomie zu demostizieren und sie in die Lebenswelten der Menschen zu integrieren, damit künftig ähnlich erschütternde Instabilitäten des Kapitalismus, wie wir sie gerade erleben, vermeiden werden."
"Ein weiterer, nicht minder bedeutender Versuch über die Ursachen von Krieg und Faschismus ist das von Karl Polanyi erstmals 1944 in den USA veröffentlichte Buch "The Great Transformation". Political and Economic Origins of Our Time". Schon im Untertitel wird deutlich, daß diese historisch-politiche Analyse einen Einsatz darstellt, worin es um nicht weniger geht als darum, die politische und ökonomische Geschichte der Gegenwart zu schreiben. Diese, "unsere Zeit" - ihr Produktions- und Destruktionspotential -, so Polanyi, reicht zurück auf jene "große Transformation", die im ausgehenden 18. Jahrhundert von England aus den Globus erfaßte. Seit der radikalen Umwälzung, die mit der Kommodifizierung von Arbeit, Boden und Geld bzw. mit der Geburt einer modernen Marktgesellschft vollzogen wurde, stellt sich die Frage: Wie ist eine soziale, freie und demokratische Lebensweise der Menschen mit den industriekapitalistischen Produktions- und Konsumtionsverhältnissen vereinbar? Faschismus und NS lauern nicht schon, wie Horkheimer und Adorno glauben, in den historischen Tiefenschichten einer nur instrumentell entfalteten Vernunft, und sie sind ebensowenig, wie Hayek betont, das Ergebnis einer willentlichen oder unwillentlichen Abweichung vom liberalen Pfad der Freiheit und des Glücks; vielmehr sind sie eine - wenn auch die bislang destruktivste - Reaktion auf die zerstörerischen Folgen der entfesselten Zentrifugalkräfte des Marktes.
Es ist ein großes Verdienst der Herausgeber und des Metropolis-Verlags, mit einer fast vollständigen Sammlung von Aufsätzen und Artikeln der Jahre 1920 bis 1947 Einblick in die Entstehung des Klassikers "The Great Transformation" ermöglicht zu haben. ...
Die drei Bände enthalten ... neben Manuskripten aus dem Nachlaß im wesentlichen Polayis Artikel, die er für den "Österreichischen Volkswirt" verfaßte. Man kann darin nicht nur die Entwicklung seiner Denkweise und Argumentationsfiguren erkennen, die er in der "Great Transformation" entfalten wird, sondern ebenso die journalistische Sorgfalt und analytische Fähigkeit, mit der er die Konflikte dieser Zeit in einen systematischen Zusammenhang bringt. Man erfährt daher nicht nur die Entstehungsgeschichte eines Buches, sondern erhält eine reflektierte "Chronik" der politischen und ökonomischen Ereignisse insbesondere der Zwischenkriegsphase."
"... Beeinflußt von Karl Marx und den Kathedersozialisten, erklärte Polanyi, daß der Kapitalismus zwar rückständige, undemokratische Gesellschaften überwunden habe, damit zugleich jedoch auch die gesellschaftliche Kontrolle des Ökonomischen abgeschafft habe. Die Ökonomie herrsche nunmehr über die Menschen und nicht die Menschen über sich selbst. Es bedürfe einer neuen Demokratie, in der die Menschen rational und selbstbestimmt ihre Gesellschaft bedürfnisgerecht gestalteten.
Obwohl die These von der vollständigen 'Ökonomisierung der Gesellschaft' auch heute noch zum Phrasenrepertoire der Globalisierungsgegner gehört, könnte man Polanyis Sozialismus ... getrost in den Regalen verstauben lassen, statt ihn neu aufzulegen. Und doch bringt die Lektüre des Bandes dann so manches zutage, das auch heute noch von äußerstem Interesse ist. Denn als durchaus nachdenklicher Sozialist machte es sich Polanyi nie einfach mit seinen Argumenten - insbesondere bei der Debatte mit politischen Gegnern ..."