318 pp.
24.80 EUR
(incl. VAT and Free shipping)
ISBN 978-3-7316-1495-1
Von den Autoren ins Deutsche übertragene und auf den neuesten Stand gebrachte Fassung von The European Central Bank, 2020
Die Europäische Zentralbank ist die einzige starke zentrale Institution in der Europäischen Währungsunion (EWU), die im Interesse der gesamten Währungsunion agiert und die ohne komplizierte Kompromissverhandlungen zwischen den Mitgliedsländern entscheidet. Sie verkörpert einen wichtigen Teil staatlicher Gewalt, ohne dass es in anderen Bereichen einen ausgebildeten EWU-Staat gibt. Dieser Stand der europäischen Integration wirft ein großes Bündel an Fragen auf - von der Frage der fehlenden Funktionalität der derzeitigen Integration bis hin zu Reformen der EWU und der EU insgesamt.
Über den Stand und die Perspektive der europäischen Integration wird seit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise 2008 kontrovers diskutiert. An den Debatten nehmen Politiker, Journalisten, Wissenschaftler, aber auch breite Teile der Öffentlichkeit teil. Leider haben diese häufig meinungsstark geführten Kontroversen nur wenig Licht ins Dunkel gebracht. Für die einen sind hohe Schuldenbestände ursächlich für die Krisenprozesse, für andere darf es unter keinen Umständen zu einer Schuldengemeinschaft und Fiskalunion kommen. Beide Positionen lehnen daher weitere Integrationsschritte strikt ab. Für Dritte ist die EZB mit ihrer "easy money policy" schuld am Geschehen; nicht zuletzt, weil sie die deutschen Sparer "enteignet". Aber es finden sich auch Diskussionen, in denen auf fehlende Integrationsschritte, auf die Notwendigkeit, die Institutionen der Europäischen Währungsunion zu stärken, hingewiesen wird.
Zu oft werden diese Debatten ohne hinreichende Kenntnisse über die grundlegenden ökonomischen und institutionellen Voraussetzungen für Integrationsprozesse, über die verwirrende Anzahl von Regelwerken, mit denen vor allem die Staatsverschuldung begrenzt werden soll, und über die tatsächlichen empirischen Verläufe der Krisen geführt. Heine und Herr versuchen diese Lücke zu schließen. Allgemeinverständlich werden die Versäumnisse und institutionellen Defizite des bisherigen Integrationsprozesses theoretisch herausgearbeitet. Des Weiteren werden die zahlreichen Regelwerke anschaulich dargestellt und kritisch bewertet. Eingerahmt sind diese Analysen von einer umfassenden empirischen Darstellung der ökonomischen Prozesse seit der Einführung des Euro. Auf dieser Grundlage werden schließlich die aus der Sicht der Autoren notwendigen Reformvorschläge skizziert.
"Als zentrales Manko der Währungsunion arbeiten Heine/Herr das Fehlen eines makroökonomischen Partners für die Zentralbank in Form eines Finanzministeriums für den Euroraum heraus. Mit so einem Ministerium hätte die EZB, so die Autoren, eine Institution an ihrer Seite, mit der sie eine aktive Konjunkturstabilisierung betreiben könne. Für ein solches Finanzministerium solle die Möglichkeit bestehen, in der Währungsunion Steuern zu erheben und sich über Euro-Anleihen zu verschulden. Eine derartige Stärkung der Fiskalpolitik könne damit einhergehen, Aufgaben im Bereich des Klimaschutzes und der Infrastruktur auf der europäischen Ebene anzusiedeln. Darüber hinaus schlagen Heine/Herr weitere Schritte zur Vertiefung der europäischen Integration vor, etwa durch die Harmonisierung des Steuersystems und abgestimmte Mindestlöhne.
Die Publikation "Die Europäische Zentralbank" kann für sich ein Alleinstellungsmerkmal beanspruchen: Eine vergleichbar fundierte, ausführliche und detaillierte Darstellung der EZB und ihrer Geldpolitik ist nicht verfügbar. Die Autoren schließen damit eine Forschungslücke und liefern eine anschaulich geschriebene Analyse zur Geschichte der Europäischen Währungsintegration. Auch wenn die beiden Ökonomen mit Blick auf die Umsetzung ihrer progressiven Reformvorschläge skeptisch sind, bleibt doch zu hoffen, dass diese aufgegriffen werden. Sonst dürften die Krisenprozesse in der Währungsunion zum Dauerzustand werden."
"... Die geldpolitische Analyse ist dabei eingebettet in eine kommentierte Wiedergabe der kontrovers geführten Diskussion über den Stand und die Perspektiven der europäischen Integration, über die Finanzpolitik der europäischen Staaten, die zunehmende öffentliche und private Verschuldung sowie die Reformen in der Europäischen Union. Dabei wird deutlich, dass das zentrale Problem der EWU das Fehlen eines gemeinsamen Staates bzw. supranationaler Institutionen ist, so eines gemeinsamen EU-Haushalts, einer koordinierten Lohnpolitik, einer gemeinsamen Steuergesetzgebung usw. Mit der EWU wurden für mittlerweile 19 Staaten zwar eine gemeinsame Währung, ein Währungsraum und eine Zentralbank geschaffen, in allen anderen Bereichen aber fehlen adäquate Institutionen und makroökonomische Steuerungsmechanismen. Die EWU ist daher "vergleichbar mit einem halbfertigen Haus, das ausgebaut werden soll". Außer dem Dach, wofür die EZB steht, haben die Eigentümer, also die 19 Staaten, dafür bislang aber "keinen gemeinsamen Plan". So wenig aber "ein Dach reicht, um ein stabiles Haus zu haben, so illusorisch ist es zu glauben, dass die Geldpolitik als einzige makroökonomische Instanz in der Lage ist, die EWU zu stabilisieren" (282).
Hieraus folgt, dass die EZB, egal wie erfolgreich ihre Geldpolitik auch ist, als einzige supranationale Institution in der EWU mit der Aufgabe, diese zusammenzuhalten, zwangsläufig überfordert ist. Da sie von den anderen Akteuren, den Mitgliedsstaaten, der EU-Kommission und dem EU-Parlament, faktisch "im Regen stehen gelassen wird, erhöhen sich die negativen Nebenwirkungen" ihrer geldpolitischen Maßnahmen (284). Und genau das ist gegenwärtig zu beobachten, wenn die Blasenbildung an den Vermögensmärkten, der Anstieg der Inflation und die Zunahme finanzieller Instabilität in den Blick genommen werden. Die Gefahr einer erneuten Finanzkrise schwebt wie ein Damoklesschwert über der EWU. Die EZB versucht dem zu begegnen, steckt dabei aber in einem Dilemma, da einerseits die wirtschaftliche Situation in den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich ist, was den Einsatz ganz verschiedenartiger Mittel verlangt, und sie andererseits "ihr Pulver im Kampf gegen die vergangenen Krisen weitgehend verschossen hat" (284). Dies ist sehr vereinfacht ausgedrückt die Situation im Jahr 2022. Die Autoren sehen angesichts dieser komplizierten und geldpolitisch verfahrenen Lage nicht "besonders optimistisch" in die Zukunft (295), ihre Darlegungen aber leisten einen profunden Beitrag, um besser zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, wo die Versäumnisse der Politik zu suchen sind und welche Chancen es noch gibt, um aus der misslichen Situation herauszukommen. Zugleich gibt ihr Buch Auskunft darüber, wie Geldpolitik heute funktioniert und warum diese in einer "monetären Produktionswirtschaft" (Keynes) in Verbindung mit der Finanzpolitik der Staaten den Schlüssel für eine stabile Wirtschaftsentwicklung darstellt. ...
In den abschließenden Kapiteln elf bis vierzehn diskutieren die Autoren den sich wandelnden Rahmen in der EWU im letzten Jahrzehnt sowie die Verschärfung aller Bedingungen durch die Covid-19-Pandemie. Es liegt auf der Hand, dass dabei die deutsche "Schuldenbremse" (212), der "Fiskalpakt" (224) und alle rigiden Versuche, die Ausgaben der öffentlichen Haushalte zu begrenzen, heftig kritisiert werden. Andererseits räumen die Autoren aber ein, dass es sehr wohl ökonomische Grenzen für die Staatsverschuldung gibt. Sie plädieren daher für eine "goldene Regel der Fiskalpolitik". Danach sollte eine "überzyklische Verschuldung des Staates maximal in Höhe der öffentlichen Bruttoinvestitionen erfolgen" (229). Im abschließenden vierzehnten Kapitel formulieren die Autoren erwartungsgemäß ihre Ansichten für die Zukunft der EWU und die europäische Geldpolitik. Dabei wird auf die unerledigten Hausaufgaben der EU bei der Integration der europäischen Staaten verwiesen und es werden die anfangs erwähnten Bedenken in Bezug auf eine rasche Lösung der Defizite und Probleme erhärtet. Das Buch stellt von der ersten bis zur letzten Seite eine spannende und lehrreiche Lektüre dar. Für die nicht professionellen Leser erweist sich auch die Tatsache, dass alle englischsprachigen Zitate ins Deutsche übersetzt worden sind, als hilfreich."