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Die russische Hysterie

Wladimir W. Putin als Symptom

154 pp. ·  18.00 EUR (incl. VAT and Free shipping)
ISBN 978-3-7316-1539-2 (February 13, 2023) )

17 farbige Abbildungen

 
In soziologischer Perspektive stellt sich das gegenwärtige Ukraine-Desaster Russlands dar als Augenblicksmoment eines seit längerem schon währenden Prozesses russischer Identitätsfindung, zugespitzt vor dem ethnischen Hintergrund eines Vielvölkergemischs, das außer Kontrolle zu geraten droht. Es ist die hysterische Reaktion auf das seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion noch immer andauernde, als traumatisch erlebte Zerfallsgeschehen eines unzeitgemäßen Imperiums, dessen verzweifelte politische Elite unfähig ist, eine tragfähige Zukunftsperspektive zu entwickeln, weil sie ihre Zukunft rückwärtsgewandt in der Vergangenheit sucht, artikuliert in beschwörenden Mythen und Wunschbildern. Da es in der Russischen Föderation keine authentische Opposition als institutionalisiertes Korrektiv einer fehlgeleiteten Gesellschaftspolitik gibt, besteht durchaus die Möglichkeit eines eurasischen Flächenbrandes, der an bestehenden Grenzen nicht haltmacht.
Der Standard, 22. März 2023 ()

"Ein riesiges, bis an die Zähne bewaffnetes Reich wie die Russische Föderation lässt sich schwerlich auf die Couch legen. Dabei herrscht seit Beginn Putins Überfall auf die Ukraine an Erklärungen dafür, wie es zu einem derart beispiellosen Akt kriegerischer Aggression kommen konnte, kein Mangel.

Die Begründungen oszillieren eigentümlich. Sie reichen von Psychogrammen des Kreml-Herrschers bis zur Akutdiagnose Zivilisationsbankrott. An die Stelle der Kreml-Astrologen aus alten Sowjettagen sind Ideologiekritikerinnen getreten. Ideenforscherinnen wie Elena Kostioukovitch. Ihr Tenor: Wladimir Putin verwaltet das totenkulturelle Erbe einer rückwärtsgerichteten, auf Trotz und Wahnvorstellungen gegründeten Staatsidee.

Die eindrucksvolle Verknüpfung solcher Erzählstränge leistet jetzt der deutsche Soziologe Arno Bammé. Er hat seinen aktuellen Großessay mit Die russische Hysterie überschrieben. Noch aufschlussreicher der Untertitel: "Wladimir W. Putun als Symptom", Bammé, der lange in Klagenfurt gelehrt hat, ist ein Spezialist für den Gemeinschaftsforscher Ferdinand Tönnies (1855-1936). Er nennt Putins nachbarschaftlichen Gewaltexzess einen "prophylaktischen Vernichtungskrieg" - wie er auch sonst der russischen Gesellschaft ein eher bedenkliches Zeugnis ausstellt.

Der pathologische Kulturhass auf den Westen, überhaupt auf alle nichtslawischen Völker, erfordere, so Bammé, die Anstrengung einer "mentalhistorischen" Rekonstruktion. In ihrem Zentrum steht die russische Seele. Seinen gleichsam organischen Verläufer findet das "System Putins" im Herrschaftsmodus der Zaren. Hinzu kommen die Gewaltexzesse des Bolschewismus, allen voran die massenmörderischen von "Väterchen" Stalin.

Die überschwappende Gewaltlust des Kreml-Herrn nennt Bammé "hysterisch" motiviert. Er versteht darunter das überschießende Verhalten einer Gemeinschaft oder Gesellschaft, die unter akutem Stress steht. Ein Staat wie der russische habe sich komplett von der Realität gelöst. Anstatt auf Probleme angemessen zu reagieren, laboriere Putins Russland an Minderwertigkeitskomplexen.

Prompt werde zu jeder unpassenden Gelegenheit die eigene Allmacht beschworen: das Imponiergehabe eines Papiertigers. Bald wimmle die Welt nur noch von Schreckgespenstern. Logische Erklärungen prallen am geschlossenen Weltbild des "Russkij Mir" (russisches Universums) wirkungslos ab, sie verpuffen. Bammé spricht von der Deformierung des Charakters einer Gesellschaft. Sie reicht von der als krisenhaft erlebten Ausweglosigkeit ("Sackgassenlage") weiter zur erstbesten Scheinlösung. Von dort führt die Entwicklung in die endgültige Katastrophe.

Putins traumatische Urszene bestand, wie er selbst oftmals ausführte, in der Auflösung der Sowjetunion. Von hier aus weist der Entwicklungspfad schnurstracks herauf in eine Gegenwart, die von seinesgleichen als ungenügend erlebt wird, als schmählich und voller Ungewissheiten, Anstatt die Gewalterfahrungen der Jahrzehnte von 1917 bis heute zu bearbeiten, dominiert im Moskauer Regierungszentrum die Logik des Wahns. Putin selbst sitzt in der "Echokammer" seiner Speichellecker und Informaten freiwillig gefangen. Als Typus sei er ein Wiedergänger, der "verdiente" Funktionär auf Lebenszeit und darüber hinaus. Wie ein Anhängsel bleibt Waldimir Putin an das eigene Trauma gekettet.

Um mit dem westlichen Liberalismus in Wettbewerb treten zu können, beschwören er und Schwarmköpfe wie der Philosoph Alexander Dugin einen ewigen Dualismus herauf. In der Doktrin des "Russkij Mir" verschmilzt das Konzept eines grenzenlosen Russlands mit der Idee des "Euraismus".

Die "Wiedergeburt des mächtigen Vaterlandes" heischt die ewige Neuverlegung der Landesgrenzen. An Russland bindet sich jeder, der sich mit ihm spirituell identifiziert. Umgekehrt entspricht der geistig moralisch gesunde "Euraismus" der erdnahen Landmacht Russlands. Ihr gegenüber steht der wässrig-dekadente "Atlantismus" der USA und Konsorten.

Das Fazit einer solchen Hysterie-Hypothese stimmt wenig zukunftsfroh. Mit solchen wie uns möchte Putin als Retro-Erneuerer eher keine sichere Weltordnung schaffen. Wahrscheinlich möchte er mit dem Westen nicht einmal ernsthaft Frieden schließen.



P.S., 9/2023, S. 6 ()

"In einer im Februar publizierten Schrift versucht Arno Bamme aktuell «Die russische Hysterie» zu analysieren. ... Doch das Bändchen bleibt kein distanzierter Fachessay. Wo sich Behauptungen und Gegenargumente noch ungeklärt gegenüberstehen, könnte ein «Wissenschaftler diese Ambivalenz» aufzeigen, und damit wäre «seine Arbeit gemeinhin erledigt. Anders ein Politiker; er muss, weit weniger komfortabel, mit diesen Widersprüchen umgehen und Entscheidungen treffen.» So sei die gesellschaftliche Arbeitsteilung organisiert. Dies jedoch sei ein politischer Text eines Sozialwissenschaftlers, der ja zugleich Mensch ist, «über ein Gewissen, über eine Moral verfügt», die er beim Darlegen von Sachverhalten nicht ausschalten kann. Schon das gewählte Umschlagbild wirkt wie ein Kommentar, Farbfotos zeigen entsetzlich nüchtern, wie grausam Kriege in Leben einbrechen."




the author
Prof. Dr. Arno Bammé
Arno Bammé Jahrgang 1944, Ordentlicher Universitätsprofessor an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (Kärnten), Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung, Direktor des Institute for Advanced Studies on Science, Technology and Society in Graz, Leiter der Ferdinand-Tönnies-Arbeitsstelle an der AAU, Fachvorstand der Sektion "Abendländische Epistemologie" beim Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand in Berlin, bis zu seiner Emeritierung Vorstand des Instituts für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung. der AAU [more titles]
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  • "eindrucksvolle Verknüpfung" ...
    Der Standard, 22. März 2023 more...
  • "kein distanzierter Fachessay" ...
    P.S., 9/2023, S. 6 more...
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