Aus der Einleitung:

Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts boomt die Kreativitätsforschung innerhalb der Psychologie. Dieser Aktivitätsschub lässt sich auf zwei konkrete Anlässe zurückführen: (1) auf J.P. Guilfords vielzitierte Rede vor der American Psychological Association (Guilford 1950), in der er Kreativität im Vergleich zu Intelligenz als vernachlässigtes Forschungs¬gebiet bezeichnete und eine Eigenschaftstheorie der Kreativität propagierte, und (2) auf den „Sputnik-Schock“, der durch den 1957 von den Sowjets erfolgreich ins Weltall abgeschossenen ersten Satelliten ausgelöst wurde. Als Konsequenz war die erste Forschungsphase durch Bemühungen geprägt, Kreativität vor allem als Eigenschaft von Personen zu identifizieren und die Entwicklung und Nutzung kreativer Potenziale zu fördern.

Der anfänglichen Euphorie folgte jedoch bald eine Periode der Ernüchterung. Die hochgesteckten Erwartungen erfüllten sich nicht. Die Gründe für die bescheidenen Erfolge damaliger Kreativitätsforschung sind im Wesentlichen in der Heterogenität der verfolgten Ansätze und der vorwiegend theorielosen Herangehensweise zu suchen. Die von Mooney (1963) formulierten vier Aspekte der Kreativität als Eigenschaft – die kreative Person, der kreative Prozess, das kreative Produkt, das kreative soziale Umfeld bzw. die kreative Umgebung – wurden parallel mit sehr unterschiedlichen Untersuchungsdesigns und -methoden beforscht. Über die als grundlegend angesehene Frage, wie der Kreativitätsbegriff angemessen zu explizieren ist, konnte keine Einigkeit erzielt werden.

In diesem Beitrag wird zunächst auf die Gründe für die Vielfalt der existierenden Explikationen des Kreativitätsbegriffs eingegangen. Dann wird die Frage, wie Kreativität angemessen zu explizieren ist, auf zwei konträre Positionen zugespitzt: Kreativität als Eigenschaft, insbesondere als Eigenschaft von Personen, und Kreativität als Relation, in welche die Person nur als eine Komponente neben anderen eingeht. Der Darstellungsbogen, der mit Kreativität als Eigenschaft beginnt und zu Kreativität als Relation führt, überspannt Modellansätze, die Kreativität aus psychoökonomischer sowie systemischer Perspektive betrachten. Diese vier Ansätze werden jeweils kurz vorgestellt und hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen bewertet.