167 pp.
24.80 EUR
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ISBN 978-3-89518-479-6
Reinhard Pirker beschäftigt sich in seiner Habilitationsschrift mit der Frage, was denn Märkte eigentlich seien. Anlass dazu ist seine Unzufriedenheit mit den vorherrschenden Marktdefinitionen. Märkte werden häufig als eine Art natürliche Form menschlichen Lebens gesehen, deren Entwicklung man keinesfalls behindern dürfe. So findet Gary Becker Märkte überall vor, sogar die intimsten Sozialbeziehungen werden als Marktbeziehungen interpretiert. Oft wird behauptet, dass Märkte spontan entstünden, wenn nur bestimmte Bedingungen gegeben seien, wie vollständig definierte Eigentumsrechte, oder die Möglichkeit freier Preisbildung. Diese Vorstellung ist scharf von jener zu unterscheiden, die Herbert Simon unter Berufung auf einen Außerirdischen skizziert, der noch nicht vom vorherrschenden irdischen Diskurs infiziert ist. Jener sieht Märkte auf der Erde durchaus nicht so dominant, wie es der irdische Diskurs uns weismachen möchte.
Diese differenten Positionen verweisen auf das Problem, dass die Verwendung des Marktbegriffs extreme metaphorische Konnotationen aufweist, ohne dass die meisten Diskutanten genügend klarmachen, wofür diese Metapher eigentlich steht. Somit kann sich der Autor keinesfalls damit abfinden, einfach auf die rhetorische Natur der Ökonomie hinzuweisen, wie dies unter anderen McCloskey vorschlägt.
Pirker plädiert mit aller Vorsicht für die Einbeziehung einer ontologischen Dimension, um die ausschließlich auf bloßen Epistemen beruhenden Marktdefinitionen als allzu beliebig zurückweisen zu können. Er zentriert seine eigene Definition von Märkten auf den notwendigen Umgang mit der Routine der linearen Zeit, was sozial ein Phänomen moderner kapitalistischer Marktwirtschaften ist. Der Autor zeigt, dass sich dieser routinisierte Umgang mit linearer Zeit historisch herausgebildet hat, weshalb in der Folge Märkte von ihm als historisch entstandene soziale Institutionen begriffen werden können, die neue Regeln, Normen und Gewohnheiten mit sich bringen und somit das soziale Leben in spezieller Weise regulieren.
Die Zentralität des Begriffes der Routine ermöglicht Pirker, an das institutionelle ökonomische Denken anzuschließen. Vor allem die Arbeiten von Thorstein Veblen, John Commons, Richard Nelson, Sidney Winter und Geoffrey Hodgson waren für die Entwicklung seiner Konzeption maßgeblich. Es gelingt dem Autor, eine reichhaltigere Definition von Märkten zu bieten, als es bis dato auch in der institutionellen Literatur üblich war.
Was sind eigentlich Märkte? Eine triviale und unzeitgemäße Frage, möchte man angesichts der Allgegenwärtigkeit von Märkten und dem vermeintlichen Triumphzug der 'freien Marktwirtschaft' meinen. Der Versuch, einem scheinbar selbstverständlichen Alltagsphänomen auf den Grund zu gehen, wie es der Wiener Ökonom Reinhard Pirker in seiner Studie macht, kann durchaus lohnend sein.
Wenig überraschend bietet die herrschende Ökonomie wenige, und auch kaum zufrieden stellende Antworten zur Frage nach dem Wesen des Marktes an. Zwar betont sie die koordinierende und allokative Funktion von Märkten, und stellt daher die Preisbildung auf Märkten durch Angebot und Nachfrage in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Die Frage, warum es Märkte gibt, wie sie entstanden sind und aufgrund welcher sozialen Voraussetzungen sie existieren, wird aber kaum ernsthaft gestellt.
Hier setzt die Arbeit von Pirker an. Wiewohl theoretisch in der institutionellen Ökonomie verankert, ist die Studie daher eigentlich transdisziplinär angelegt. Sie beinhaltet wissenschaftstheoretische, soziologische und historische Überlegungen und geht damit über den üblichen Rahmen einer fachwissenschaftlichen Arbeit hinaus.
Das ist gleichzeitig aber wohl die einzig angemessene Form, um auf die gestellte Forschungsfrage eine zufrieden stellende Antwort geben zu können. Für Pirker ist klar: Märkte sind nicht bloß der Ort, an dem Güter getauscht werden, sondern neben der ökonomischen Funktion von Märkten, die historisch durchaus unterschiedlich ausfällt, sind Märkte Orte sozialen Lebens. ...
Auf Basis einer umfassenden Analyse der historischen Entstehung von Märkten zeigt Pirker eindrucksvoll, dass was wir heute als Märkte verstehen, es erst seit relativ kurzer Zeit gibt. Es handelt sich dabei um eine spezifische soziale Institution, eben um eine Regulierungsform sozialen Lebens, die es so vorher nicht gab. Sie beruht auf bestimmten Sichtweisen der sozialen und wirtschaftlichen Realität, darunter insbesondere auf dem routinisierten Umgang mit linearer Zeit.
In wirtschaftspolitischer Hinsicht folgt aus der Analyse, dass so etwas wie die 'Deregulierung' von Märkten gar nicht möglich ist. Märkte als soziale Institutionen sind immer schon reguliert. Jegliche 'Deregulierung' ist nichts anderes als ein politischer Prozess, in dem Regel A durch Regel B ersetzt wird. 'Freie Marktwirtschaft' im Sinne der Befreiung des Marktes von auch staatlich normierten Regeln muss somit eine gefährliche Illusion bleiben. Sie übersieht nämlich, dass es gerade die oft mannigfaltigen formellen wie informellen Regeln und Routinen sind, die die Stabilität und damit auch ökonomische Funktionalität von Märkten gewährleisten. Der Versuch ihrer radikalen Änderung oder Beseitigung kann daher zum Zusammenbrechen von Märkten bzw. ganzen Volkswirtschaften führen, wie Pirker anhand der Folgen von Deregulierung und Privatisierung in den so genannten Transformationsländern des früheren Ostblocks illustriert. ...
"... Das institutionalistische Marktverständnis, das der Autor am Anwendungsbeispiel der geschichtlichen Routinisierung der 'linearen Zeit' exemplifiziert hat, lässt auch die leidige Deregulierungsdiskussion in einem neuen Licht erscheinen. Wenn Märkte als historisch entstandene Regulierungsformen sozialen Lebens aufgefasst werden, dann wird der herkömmliche Deregulierungsbegriff obsolet. Denn Märkte sind in dieser Sichtweise nicht mehr universeller 'state of nature', dem durch überfällige 'Entregelung' der vorgegebene Weg geebnet werden soll, sondern 'state of the social art', der marktwirtschaftliche Funktionsfähigkeit durch eine den geschichtlichen Besonderheiten entsprechende Regulierungsform erst ermöglicht. Folglich ist der Markt nicht mehr ein 'a fortiori superiorer Koordinationsmechanismus', sondern ein optimaler Verteilungs- und Lenkungsmodus, dessen Effizienz ganz entscheidend von der sozialen Angemessenheit seiner Regulierungsform abhängt.
Reinhard Pirker ist eine überzeugende Arbeit gelungen, die zunächst durch gründliche Kenntnis der maßgeblichen Literatur besticht. Sie ist nicht nur ein Meilenstein im Forschungsprogramm des Autors, sondern stellt durch ihren institutionalistischen Charakter auch ein innovatives Moment im durchaus virulenten Martwirtschaftsdiskurs der österreichischen Natonalökonomie dar."
Die Behauptungen, das es Märkte schon immer gegeben habe und dass Menschen sich zweckorientiert und rational auf diesen verhielten bzw. dass die moderne ökonomische Welt sich gar auf die menschliche Natur gründe, hätten sich durch die Entwicklungen der Wissenschaftsgeschichte zu Axiomen zementieren können. ... Märkte [seien aber] für den überwiegenden Teil der Menschheitsgeschichte abwesend gewesen und mit dem Kapitalismus entstanden. Historisch gewachsen brachten sie 'neue Regeln, Normen und Gewohnheiten mit sich' und 'regulierten also das soziale Leben in spezieller Weise'. Deshalb bezeichnet Pirker Märkte als 'Regulierungsformen sozialen Lebens'. Wie diese Entwicklung vonstatten ging und welche Rolle dabei ein neues (lineares) Zeitverständnis spielt, kann bei Pirker in spannender Weise nachgelesen werden."