2., durchgesehene Auflage September 1996
426 pp.
29.80 EUR
(incl. VAT and Free shipping)
ISBN 978-3-89518-079-8
Hardcover, Fadenheftung, mit 14 Abbildungen
Alfred Bürgin, Professor für Wirtschafts- und Dogmengeschichte an der Universität Basel, an der er bei Edgar Salin studiert und promoviert hatte, gehörte einer selten gewordenen Spezies an, die ökonomisches mit historischem Denken zu verbinden wusste. Als Summe seiner Überlegungen und jahrzehntelanger Beschäftigung mit dem Thema erschien 1993 sein Lebenswerk: "Zur Soziogenese der politischen Ökonomie", in der er den Zusammenhängen zwischen realgeschichtlicher Entwicklung und den Ausformungen des jeweiligen ökonomischen Denkens nachspürte und zugleich die Grundlagen heutiger Gesellschaften hinterfragte. Als ich sein Manuskript Anfang 1993 erhielt, vermittelt und empfohlen von Prof. Birger Priddat, wurde es sogleich zu einem meiner Lieblingsbücher - und ist dies bis heute geblieben. Es war das erste Mal, dass ich als junger Verleger eine sorgfältig ausgestattete und illustrierte Hardcover-Ausgabe mit großer Auflage wagte und vorschlug, die dann auch gut in der Tages- und Fachpresse besprochen wurde. Sie verkaufte sich so gut, dass 1996 eine leicht verbesserte 2. Auflage erscheinen konnte.
Am 15. Februar ist Alfred Bürgin im Alter von 86 Jahren in Riehen bei Basel gestorben. Wir gedenken und trauern mit seiner Familie.
Hubert Hoffmann
Bürgin präsentiert Betrachtungen über die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftsgeschichte und Geschichte des ökonomischen Denkens - beginnend mit der griechischen Antike über die europäische mittelalterliche Stadt, die italienische Renaissancezeit und den absolutistischen Staat bis hin zu Adam Smith. Er zeigt dabei, wie eng das Denken über die Ökonomie - idealisierend, kritisierend, reformierend oder antizipierend - den jeweiligen geschichtlichen und gesellschaftlichen Strukturen verhaftet ist. Der Autor geht unter wirtschaftsgeschichtlichen, dogmenhistorischen und kulturellen Aspekten der Frage nach, warum und wie sich das Denken über die Wirtschaft, das seit der Antike über die Epochen des Mittelalters bis weit in die Neuzeit hinein immer Bestandteil der Philosophie, der Theologie oder der Politik war, zu einer autonomen Disziplin wandelte.
Bürgin zeigt, dass die Politische Ökonomie oder Volkswirtschaftslehre erst mit dem Durchbruch marktwirtschaftlicher Verhältnisse in der Geschichte geschaffen werden konnte und an diese gebunden ist. Erst die moderne Welt gebar im Zuge der Ausformung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft die Vorstellung, dass die Wirtschaft ein autonomer Bereich sei, der eigene Gesetzlichkeiten besäße, die die Beziehungen und den Zusammenhalt innerhalb der Wirtschaftsgesellschaft regulieren und bestimmen. Aber, und das zeigen die Betrachtungen der "vormodernen" Epochen der Wirtschaftsgeschichte sehr anschaulich, in der gemeinten Form gibt es keine jeder Wirtschaft immanente Gesetze. Jede Epoche erfordert ihre eigene Betrachtungsweise, so dass die verbreitete Anwendung moderner Vorstellungen etwa auf die griechische Polis oder die nordalpine Stadt des Mittelalters in die Irre führt. Und umgekehrt, dass ökonomische Theorien, gleichgültig aus welcher Zeit sie stammen, nicht isoliert betrachtet, nicht aus ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext herausgelöst werden können, weil dadurch ihr politisch-gesellschaftlicher Inhalt und ihr ethischer Gehalt verloren ginge.
Bürgin geht es aber nicht nur um eine angemessene Sicht anderer Epochen und ihrer jeweiligen ökonomischen Reflexion, sondern er hinterfragt zugleich die Grundlagen und Voraussetzungen heutiger Theorie und verdeutlicht, welche Gefahren von Enthistorisierung, Enthumanisierung und vom Verlust einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive - wodurch die vorherrschende ökonomische Theorie neoklassischen Zuschnitts weitgehend gekennzeichnet ist - ausgehen.
"Gibt es in der Wirtschaft 'Naturgesetze'? Hat die Wirtschaftswissenschaft Fortschritte gemacht? Kann man die zweite Frage überhaupt bejahen, wenn man die erste verneint? Alfred Bürgins Antworten dürften viele überraschen. Der Reiz seines lesenswerten Buches liegt in dieser unorthodoxen Sichtweise. Bürgin ist ein scharfer Kritiker der modernen Wirtschaftswissenschaft. Ihn stört die 'Enthistorisierung, Enthumanisierung und Entgesellschaftung' seines Faches. Er setzt sich aber nicht unmittelbar mit der herrschenden Theorie auseinander. Er hat auch nicht den Ehrgeiz, für seinen Standpunkt mit feingesponnenen methodologischen Reflexionen zu werben. Vielmehr zeigt er die geschichtliche Bedingtheit und Begrenztheit ökonomischen Denkens und fordert entschieden dazu auf, sich (endlich wieder) mehr der Geschichte dieser Wissenschaft zuzuwenden ...
In sieben 'Betrachtungen' wird der Bogen von Aristoteles bis zu Adam Smith geschlagen. Bürgen orientiert sich dabei an strittigen Fragen in der neueren Literatur, zu denen er immer wieder zurückkehrt. ...
Bürgin attackiert die moderne Theorie und die ihr entsprechende Perspektive auf die Geschichte des ökonomischen Denkens mit vielen Argumenten. Obwohl deren polemische Schärfe zum Lesevergnügen beiträgt, sind nur wenige durchschlagend. ... Bürgin kritisiert die aktuelle Ökonomik, aber es scheint, als meinte er damit die moderne westliche Gesellschaft, die eine solche Form ökonomischen Denkens hervorgebracht hat.
Bürgins Theoriegeschichte ist die einzige umfassende neuere Darstellung der Geschichte der Volkswirtschaftslehre von einem Standpunkt aus, den man 'neohistoristisch' nennen könnte. Das sorgfältig ausgestattete Buch basiert wohl auf den Vorlesungsmanuskripten des Baseler Emeritus. Man wünschte sich geradezu, Alfred Bürgin würde daraus vorlesen, die Pfeife in der Hand, mit leiser Stimme und schweizerdeutscher Klangfärbung. Max Frisch als Ökonom."
Der ungewöhnliche Titel des Buches trifft genau die Absicht seines Verfassers, der Elemente der Entwicklungsgeschichte des Denkens auf dem Gebiete der politischen Ökonomie in ihrer Wechselbeziehung zwischen wirtschaftlicher und politischer Realität und Reflektion aufgespürt zusammengetragen und niedergeschrieben hat. Der Inhalt dieses Buches konnte nicht in ein paar Jahren erarbeitet werden, sondern ergab sich wohl erst aus der in einem Scholarenleben angehäuften Summe an Wissen, Lebenserfahrung und Räsonnement: das Kondensat langer wirtschafts- und dogmenhistorischer Forschung. Mag Bürgins Arbeit in Teilen auch ein kontroverses Echo auslösen, so sind es jedenfalls Herausforderungen, die bedeutsam genug sind, aufgenommen zu werden."
... Es gelingt Bürgin gut herauszuarbeiten, wie sehr Smith von der neoklassischen Theorie zu Unrecht als ihr 'Ahnvater' in Anspruch genommen wird. Die Perspektive des Autors mündet in bedeutsame Anstösse für ein kritisches Überdenken der axiomatischen Grundlagen der Neoklassik. Indem er die ethischen und gesellschaftspolitischen Prämissen unterschiedlicher Vorstellungen von richtigem Wirtschaften in ihrer geschichtlichen Wandelbarkeit nachzeichnet, verdeutlicht er die Gefahr einer Ausblendung der historischen Relativität des ökonomischen Denkens. In dieser Ausblendung ist nach Bürgin 'unschwer das ideologische Moment neoklassischen Denkens zu erkennen'. Was heute not tue, sei eine fundamentale Erneuerung der Politischen Ökonomie als geschichtsbewusster und zukunftsoffener Gesellschaftswissenschaft."
"Der Autor, Professor in Basel, gehört einer selten werdenden Spezies an. Er ist zugleich Wirtschaftshistoriker und Historiker des ökonomischen Denkens. Anders als die meisten Wirtschaftstheoretiker, die sich mit der Geschichte ihres Faches beschäftigen, suchen Gelehrte wie Bürgin in der sogenannten Dogmengeschichte nicht danach, wer wann was zuerst gesagt hat. Die Geschichte der Wirtschaftswissenschaft als Nachzeichnung der Akkumulation gleichsam bestätigter Wahrheiten und universell verwendbarer analytischer Instrumente ist ihm suspekt. Und umgekehrt ist ihm als Wirtschaftshistoriker nicht geheuer, wenn auf Gesellschaften, die bestimmt nicht Marktgesellschaften gewesen sind, die Konzepte der modernen Theorie angewendet werden. ...
Damit ist umrissen, worauf Bürgin in diesem etwas bekenntnishaften Buch abzielt. Sein Gegenstand ist die Vor- und Frühgeschichte dessen, was seit dem 18. Jahrhundert als Wirtschaftswissenschaft bezeichnet wird.
Hält man sich an das, was der Historiker der Wirtschaft und des wirtschaftlichen Denkens als solcher sagt, liest man dieses gut geschriebene Buch sicher mit Gewinn. Der Vf. setzt sich mit vielen Forschern kritisch auseinander, ohne polemisch zu werden. Vielfach geht er auf neueste Veröffentlichungen ein, die unser Bild von der Antike oder der Vor- und Frühgeschichte des systematischen Denkens über wirtschaftliche Zustände und gesamtgesellschaftliche Ordnungen verändert haben. Man wünscht sich, daß diese Art historisierender Politischer Ökonomie aufmerksame Leser findet."