"Beiträge zur Geschichte der deutschsprachigen Ökonomie" · volume 48
275 pp.
38.00 EUR
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ISBN 978-3-7316-1288-9
Personenregister
Um die Wende zum 19. Jh. entstand im deutschen Sprachraum eine Denkrichtung, die sich selbst als "romantisch" bezeichnete. Sie wollte nichts weniger als eine Anschauung der Welt sein, die alle Bereiche des menschlichen Lebens umfasst und berücksichtigt. Vor dem Erfahrungshintergrund und in Auseinandersetzung mit den Ideen und den Auswirkungen der Aufklärung, der Französischen Revolution und der napoleonischen Kriege rückte für einige Vertreter der Romantik, so z.B. F. Schlegel, F. v. Hardenberg, F. v. Baader und A. H. Müller das Spannungsfeld von Individuum und Gemeinschaft, von Einzelnem und Staat in den Fokus der Aufmerksamkeit.
A. H. Müller (1779-1829) widmete diesem Erkenntnisbereich den überwiegenden Teil seines Schaffens und erweiterte ihn - in Auseinandersetzung vor allem mit dem Werk A. Smiths bzw. dessen Rezeption in Deutschland - um eine Theorie menschlichen Wirtschaftens. 70 Jahre nach seinem Tod und 90 Jahre nach der Veröffentlichung seines sozio-ökonomischen Hauptwerks, den "Elementen der Staatskunst" (1809), entstand in den Vereinigten Staaten von Amerika, ausgehend von T. B.Veblen und seiner "Theory of the leisure class" (1899) die evolutionäre oder - wie sie später von ihren Vertretern genannt werden sollte - die institutionalistische Ökonomie. Sie vertrat und vertritt in einer Reihe von Bereichen ähnliche Ansichten wie die politischen Romantiker Deutschlands, insbesondere aber wie A. H. Müller, ohne sich dabei auf diese bzw. diesen zu beziehen. Bis jetzt wurde noch nicht versucht festzustellen, ob zwischen diesen Denkrichtungen substantielle Übereinstimmungen bestehen und wenn ja, wie weit diese gehen. Das soll mit dieser Veröffentlichung unternommen werden. Dazu wird auf Basis der wesentlichen Werke von T. B. Veblen, J. R. Commons, W. C. Mitchell und C. E. Ayres zunächst eine institutionalistische Vergleichsbasis - in konzeptionellen und institutionellen Kategorien - vorgeschlagen. Der überwiegende Teil der Veröffentlichung widmet sich dann der Biographie (dabei vor allem einigen bis dato wenig beachteten Aspekten) und dem sozioökonomischen Werk A. H. Müllers und mündet in einem Vergleich der so gewonnenen Erkenntnisse mit der institutionalistischen Vergleichsbasis.
"... Hieran schließt sich die Frage an: Warum Müller, wo es doch so viele populärere Romantiker gibt? Die Antwort leuchtet ein: "Adam Heinrich Müller ist [...] der einzige Romantiker, der sich [...] mit der 'Staatskunst', also allem, was den Staat [...] ausmacht, und mit den ihn konstituierenden Bürgern auseinandergesetzt hat." (39) Hier wäre einzufügen: "umfassend und wissenschaftlich", denn das genau unterscheidet sein Werk von den Fragmenten und literarischen Skizzen, wie sie z. B. Friedrich von Hardenberg (Novalis), Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Franz von Baader oder F. W. J. Schelling hinterlassen haben. Sehr treffend hat dies Bruno Hildebrand 1848 zum Ausdruck gebracht, indem er hervorhob, dass "es nur ein einziger Mann, nämlich Adam Müller [...] unternahm, die Volkswirtschaftslehre auf Grundsätze der Restauration zurückzuführen" (41). Er übertrug damit das romantische Denken, die romantische Reaktion auf die Aufklärung und den Liberalismus, auf das Gebiet der Ökonomie. Sein Werk ist mithin der einzige umfassende Gegenentwurf zu Smith, Ricardo, Malthus, Say, J. St. Mill, List usw. Es ist daher ernst zu nehmen. Aber reicht dies aus für einen Vergleich mit dem amerikanischen Institutionalismus knapp ein Jahrhundert später?
Vielleicht nicht ganz. Auf jeden Fall aber führt der Autor eine Reihe von Überlegungen ins Feld, die seinen Versuch nicht von vornherein absurd erscheinen lassen. Zentral dafür ist die "historische Positionierung von Romantik und Institutionalismus" im Prozess der "Individualisierung" (47). Kozik sieht zwei historische Momente für institutionalistische Ansätze in der Ökonomie: zunächst als "Vorahnung" kommender Entwicklungen und "Reaktion" auf Aufklärung und Französische Revolution sowie "Kritik" an Smith. Dies betrifft das Werk von Adam Müller. Und dann, neunzig Jahre später, als Reaktion auf die Entwicklung der Wirtschaft bzw. der Wirtschaftswissenschaften im 19. Jahrhundert, beginnend mit der Veröffentlichung der "Theory of Leisure Class" von Thorstein B. Veblen 1899. Warum beide Theorien unter dem Begriff "Institutionalismus" firmieren, wird erklärt, überzeugt aber nicht wirklich. Ebenso gut hätte man hier auch den Begriff "Romantik" wählen können.
Eingebettet in diese Beweisführung sind biografische Bemerkungen über Adam Müller sowie zahlreiche Anmerkungen zum geistigen Umfeld in seiner Zeit. Dabei gibt es "einige Momente, die einer näheren Betrachtung bedürfen" (129). So die Freundschaft zwischen Müller und dem Politiker und Publizisten Friedrich Gentz (131ff.), Müllers Studienzeit an der Georgia Augusta in Göttingen (142ff.) und seine feindliche Haltung zum wirtschaftlichen Liberalismus (150ff.). Ferner der Einfluss Goethes auf Müller (156ff.) - ein sehr interessantes Kapitel -, Müllers Hinwendung zum Katholizismus (162ff.) und seine Anleihen bei Edmund Burke (167ff.). ..."
Walther Kozik leistet mit seinem neuen Buch "Adam Müllers 'Elemente der Staatskunst' (2018) einen wichtigen Beitrag zur Dogmengeschichte der deutschsprachigen Ökonomie. Bisher galt das Werk von Friedrich List "Das natürliche System der Politischen Ökonomie" aus dem Jahre 1837 als erstes ernstzunehmendes Lehrbuch. Adam Müllers "Nationalökonomische Schriften" (1809) werden zwar auch immer wieder erwähnt, aber wegen ihrer theologisch-philosophischen Begründung nicht ernst genommen. Nur in Krisenzeiten gab es kleinere Müller-Rezeptionswellen. So in der Weimarer Zeit ausgelöst durch Othmar Spann und Jakob Baxa.
Adam Müller ist ein wichtiger Vertreter der deutschen Romantik mit Novalis, Friedrich Gentz, Heinrich von Kleist, Friedrich Schlegel etc. Die Romantiker waren kritisch gegenüber der industriellen Revolution und unkritisch in ihrer Staatsgläubigkeit. Durch ihren ganzheitlichen Ansatz werden sie vielfach als Urahnen einer konservativen Ökologiebewegung gesehen.
Die Romantiker wenden sich gegen die liberalistischen und naturrechtlichen Lehren der Aufklärung. Sie erklären die historisch-politischen Institutionen zur unvermittelten 'organischen Natur'. Sie begreifen den Staat durch den natürlichen Organismus des Menschen und werfen dem Liberalismus Machbarkeitsdenken und mechanisches Denken vor. Sie denken dagegen in Polaritäten, betonen die Schönheit der Natur und haben ein Empfinden für Ästhetik.
Novalis nennt den Staat einen 'allegorischen Menschen'. Das Buch von Kozik will Adam Müller für die heutigen Krisenzeiten wieder seriös aktualisieren und verortet ihn in einen institutionenökonomischen Ansatz, als Vorläufer von Thorstein Veblen. Dieser Ansatz versteht sich als Gegenspieler des eingleisigen neoklassischen Mainstreams, als Teil einer heterodoxen Ökonomie.
"Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist eine skizzenhafte Darstellung von Heterodoxer Ökonomie und Institutionalismus. Im Anschluss daran schlage ich, um den Vergleich mit dem sozio-ökonomischen Werk von Adam Müller zu ermöglichen, eine Operationalisierung von institutionalisiertem Denken entlang von konzeptionellen und institutionellen Kriterien vor." (Kozik 2018/S. 13)
Müller überträgt den Organismus-Gedanken auf den Staat. Er versteht den Staat als 'umfassendes' Individuum, als 'erhabenen und vollständigen Menschen'. Den Staatsmann setzt Müller einem Arzt gleich, der für die Gesunderhaltung des Organismus zuständig ist.
"Adam Müller steht nicht nur ganz in der Tradition dieses organischen Denkens, er führt es bis zur letzten Konsequenz und verwendet es derart als Basis seines Staatsverständnisses." (Kozik 2018/S. 104)
Adam Müller gilt neben Franz von Bader am Anfang des 19. Jahrhunderts als der schärfste Kritiker des englischen Wirtschaftsliberalismus. Er kritisierte, dass Adam Smith den Reichtum ausschließlich als materiellen Reichtum betrachtet, dass der Gemeinschaftsgedanke vernachlässigt wird. "Die immateriellen Güter würden dabei nicht in Anschlag gebracht. Adam Müller versteht unter Nationalreichtum eine Summe aus dem 'bürgerlichen Charakter aller Personen und Sachen', ihren 'geselligen Wert' und den Grad an Gemeinschaft und deren Verinnerlichung den eine Nation erreicht (hat)'. Prinzipiell ist darunter die Nützlichkeit von Personen und Sachen für das übergeordnete Ganze des Staates zu verstehen."(Kozik 2018/S. 154)
Auch in der Eigentumsfrage wendet sich Müller vom liberalen Denken ab. "Eng mit diesem Verständnis von Nationalreichtum ist Adam Müllers Kritik an ausschließlichem, wie er es nennt 'strengem' Privateigentum verbunden. Dieses würde das Gefühl der Gemeinschaft, das in einer Nation Basis allen Zusammenlebens ist, zerstören. Es würde dazu verleiten, eben auch das 'ewige Besitzstück', dessen geistiger Theilnehmer jedes Glied der Gemeinschaft ist, in 'arithmetische Portionen' zu zerlegen und sich so gegenseitig 'abzufinden' und den Staat bzw. dessen Wert auf alle Teilnehmer zu verteilen. Damit würde nicht nur das 'sichere Haus' jedes Gemeinschaftsmitglieds zerstört sein, es würde auch die Basis für die Preis- und Wertbildung verschwinden." (Kozik 2018/S.154)
Eine scharfe Abgrenzung zum Liberalismus ist der Begriff des Privateigentums, besonders des Eigentums an Grund und Boden. "In Grund und Boden manifestiert sich nicht nur ein momentaner Wert. In Grund und Boden manifestiert sich die Arbeit all jener Generationen, die ihn zunächst urbar gemacht und dann bebaut und dabei gehegt und gepflegt haben. Kurz, die ihn zu dem gemacht haben, was er gegenwärtig ist. Aber er ist mehr als das. Er ist auch ausführlicher herausgearbeitet worden wären. Vom romantischen Denken und der 'Lehre von den Gegensätzen' verbleibt für die heutige Zeit, dass der Mensch eingebettet ist in die Natur und, dass es vor allem gilt die Schönheit der Natur - auch in der Wissenschaft - nicht außer Acht zu lassen.