"Die Gesellschaft Neue Folge" · volume 2
311 pp.
24.80 EUR
(incl. VAT and Free shipping)
ISBN 978-3-89518-651-6
"Bernsteins Arbeit kann als Gegenstück zu Werner Sombarts Schrift über den Sozialismus bezeichnet werden, aber auch als eine Ergänzung dazu. Bernstein deckt die innere Struktur der Arbeiterbewegung auf, er schreibt ihre Psychologie und ihre Bewusstseinsanalyse. Diesem Zweck dient bei ihm alle historische Darstellung" (Aus dem Klappentext von 1910). Bernstein beschreibt die Entwicklung der Arbeiterbewegung von utopistischer und revolutionärer Sektiererei zu einer politischen und wirtschaftlichen Organisation. Er erörtert die in der Arbeiterbewegung wirksamen Ideen: die Ideen der Gleichheit, der Gemeinschaft, der Selbstbestimmung. Diese Ideen sind in allen Aktivitäten der Arbeiterbewegung wirksam: beim Aufbau von Parteien und Gewerkschaften, im Recht und in der Ethik des Klassenkampfes, in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft und zum Staat. Bernstein wagt die Zuversicht, dass der "moderne proletarische Geist" sehr langsam, aber mit immer größerer Kraft die Gesellschaft von innen umgestaltet.
Hans G. Nutzinger kommentiert Leben und Werk dieses oft als Revisionisten geschmähten sozialdemokratischen Theoretikers und Politikers und würdigt die fortdauernde Aktualität seines Denkens.
"Als Begründer des Revisionismus zählt Eduard Bernstein zu den wichtigsten Theoretikern der Sozialdemokratie. Mehrfach saß er als SPD-Abgeordneter im Reichstag und war zeitweilig Mitglied der USPD. Seine Idee, den Sozialismus mit Reformen zu erreichen, löste seinerzeit heftige Diskussionen aus. Seine Beharrlichkeit zahlte sich aus. Denn noch heute steht die Sozialdemokratie in Bernsteins Tradition.
Mit seinem Hauptwerk "Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie" von 1899 und den zwischen 1896 und 1898 in der "Neuen Zeit" erschienenen Artikeln "Probleme des Sozialismus" eröffnete Eduard Bernstein den Revisionismusstreit in der deutschen Sozialdemokratie. Er vertrat die These, die Sozialdemokratie könne die Erneuerung der Gesellschaft über den Weg eines Reformprozesses herbeiführen. Seine Parteifreunde, darunter Rosa Luxemburg, August Bebel, Karl Kautsky und Wilhelm Liebknecht, begegneten ihm mit scharfem Widerspruch, weil seine Ansätze der Marxschen Theorie entgegenstünden. Bernsteins Theorie der Reform jedoch sollte für die Zukunft noch eine wichtige Rolle spielen.
Verkannter Vordenker
In seiner gleichnamigen Schrift beschreibt Eduard Bernstein die Entwicklung der Arbeiterbewegung vom späten Mittelalter bis zum frühen 20. Jahrhundert. Dabei geht es ihm vornehmlich um eine genaue Darstellung der politischen und gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterbewegung. Die zentralen Ideen der Arbeiterbewegung stellt er als etwas Besonderes heraus: Gleichheit, Gemeinschaft und Selbstbestimmung zählen hierbei zu den festen Grundsätzen. Sie bestimmen letztlich den strukturellen Aufbau der Parteien und Gewerkschaften, des Rechts und die Ethik des Klassenkampfes sowie das Verhältnis der Gesellschaft zum Staat. Bernstein ging nämlich davon aus, dass sich diese Ideen zwar nur langsam durchsetzen, dafür aber die Gesellschaft allmählich von innen her umgestalten würden.
Bernsteins Schrift "Die Arbeiterbewegung" ist 1910 erstmals erschienen und wurde nun neu aufgelegt. Anlass genug also, das Leben und Werk des "verkannten" Politikers und Theoretikers neu zu beleuchten. Hans G. Nutzinger unternimmt diesen Versuch. Einst als Revisionist verschrien, erscheint Eduard Bernstein mit seinen Ansätzen aus dieser neuen Perspektive noch immer aktuell.
Interessante Fachlektüre
Für die Herausgabe dieser wissenschaftlichen Schrift werden sich überwiegend Fachkreise und Spezialisten begeistern. Der in diesem Thema weniger versierte Leser wird bei der Lektüre einige Mühe aufwenden und vielleicht das Eine oder Andere nachschlagen müssen. Trotzdem leistet Hans G. Nutzinger eine wichtige Arbeit, denn vor dem historischen Hintergrund der Arbeiterbewegung ist es möglich, Zusammenhänge zwischen der damaligen und der heutigen wirtschaftlichen und gewerkschaftlichen Situation der Arbeitnehmer herzustellen. Dafür gebührt ihm Dank.
"Neu entdeckter Klassiker
Eduard Bernstein (1850-1932) gilt als Vater des "Revisionismus" in der deutschen Sozialdemokratie, seit er Ende der 1890er Jahre Zweifel an der Marxschen Verelendungstheorie angemeldet hatte. Weniger bekannt als Bernsteins "revisionistische" Schriften ist ein Buch, das er 1910 veröffentlichte: "Die Arbeiterbewegung". Es gibt einen Überblick über die Entwicklung der sozialistischen Arbeiterparteien und Gewerkschaften in England, Frankreich und Deutschland seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Kernthese lautet: Die Arbeiterbewegung ist eine kulturelle Bewegung. Ausführlich diskutiert Bernstein ihre ideelen Grundlagen - Gleichheit, Solidarität und Freiheit -, die er interessanterweise nicht auf die französische Revolution oder die Naturrechtslehre zurückführt, sondern auf das Urchristentum. Vor allem aber demonstriert er anhand von Beispielen die der Arbeiterbewegung "innewohnende Kulturmission", die zugleich überraschende Dialektik von Kampf und gesellschaftlicher Integration: Je größer die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder, damit aber auch Kosten und Risiken von Arbeitskämpfen, desto verantwortungsbewusster und maßvoller verhielten sich ihre Führer, so Bernsteins These. Mitglieder von Gewerkschaften, die Tarifverträge abschlössen, würden "bis zu einem gewissen Grade Teilhaber an der Produktion" und "weniger darauf ausgehen ..., dem Unternehmer in der Arbeit Schnippchen zu schlagen". Fortschritte der Arbeiterbewegung sind für Bernstein auch Fortschritte auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Frauen; denn Klassenbewußtsein erzeuge Persönlichkeitsbewußtsein und "Achtung vor der eigenen und fremden Persönlichkeit". Kurz: Bernstein sieht die Arbeiterbewegung "als Erzieher der Arbeiter und als Erzieher der Unternehmer, als Erzieher der öffentlichen Meinung und als Erzieher der Regierenden".
Man kann Bernsteins Buch als Versuch einer empirischen Bestätigung des Revisionismus lesen, für den er so heftig angegriffen worden war. Man kann es aber auch als Adresse an das Bürgertum verstehen, vor allem das linksliberale. Denn ungeachtet oder gerade wegen ihrer Erfolge galt die Arbeiterbewegung im wilhelminischen Deutschland der überwiegendenden Mehrheit der politisch maßgeblichen Kreise als Gefahr für den Bestand von Staat, Gesellschaft und Kultur, und sie wurde in einer Weise geächtet, die heute nur noch schwer vorstellbar ist.
Jetzt wurde das Buch neu herausgegeben. Hans Diefenbacher von der Evangelischen Forschungsstätte hat es mit Anmerkungen versehen, und der Industrieökonom Hans Nutzinger hat einen fast 100seitigen Begleittext dazu geschrieben, der Bernsteins Schrift in einen größeren historischen und theoriegeschichtlichen Kontext stellt - bis zum Godesberger Programm der SPD von 1959. Er schließt mit Überlegungen zur Aktualität, aber auch Zeitgebundenheit Bernsteins. Für unverändert aktuell hält Nutzinger dessen vorurteilslosen Blick auf die Realität und seine Methode, "die Wirklichkeit seiner Zeit nicht naiv vordergründig und phänomenologisch, sondern theoriegeleitet zu erfassen und daraus überkommene Vorstellungen und Konzepte kritisch zu überprüfen". Als "Popperianer vor Karl Popper" und "kritischer Rationalist", bevor es diesen Begriff gab, sei Bernstein auch heute noch von großer Bedeutung. Eine vielleicht überraschende, aber durchaus zutreffende Charakterisierung."
Mit "Die Gesellschaft/Neue Folge" ist dem Metropolis-Verlag eine überaus anregende Reihe zu verdanken, die vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Krise der Gewerkschaften wie auch der Sozialdemokratie den Blick zurück auf die Ursprünge lenkt und gleichermaßen zum Nachdenken anregt wie auch historisches und ideengeschichtliches Wissen vermittelt. Bei "Die Gesellschaft" handelt es sich um eine von Martin Buber zwischen 1907 und 1912 herausgegebene Sammlung bedeutender sozialgeschichtlicher Monografien, die hier nun erstmals wieder im Nachdruck vorgelegt werden. Ergänzt werden die einzelnen Bände jeweils um einen sehr ausführlichen (im vorliegenden Band rund 100 Seiten umfassenden) Kommentar eines einschlägigen Experten ("Neue Folge"). Band 2 enthält einen vollständigen Nachdruck eines der zentralen Werke von Eduard Bernstein, bedeutender Aktivist und Vordenker der modernen Sozialdemokratie, den manche gar als einen der "spirituellen Väter des Godesberger Programms" (FAZ vom 25.8.2008) ansehen. In "Die Arbeiterbewegung" vermittelt Bernstein einen ausführlichen historischen Abriss der Organisation der Arbeiterschaft zwischen dem 15. und frühen 20. Jahrhundert. Nutzinger fasst in seinem Kommentar nicht nur die zentrale Argumentation des Werkes zusammen und geht auf die wichtigsten Weiterentwicklungen der deutschen Arbeiterbewegungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein, sondern vermittelt auch ausführliche Informationen zur Biografie Bernsteins und seinen weiteren bedeutenden Schriften sowie zum - maßgeblich durch Bernstein herbeigeführten - Revisionismusstreit innerhalb der deutschen Sozialdemokratie, der letztlich in eine Abspaltung des fundamental kommunistischen Flügels mündete. Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Frage der Aktualität, aber auch der Zeitgebundenheit von Bernsteins Analyse der Arbeiterbewegung.
"Anders als Sombart, der vor allem eine konkrete Beschreibung der Lebensverhältnisse leistet, geht es Bernstein um eine Analyse "der politischen und der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterschaft". Bernstein beginnt im späten Mittelalter und arbeitet sich straff bis in der frühe 20. Jahrhundert vor. Für eine Überblicksdarstellung - und viel mehr wollte Bubers Sammlung ja auch nicht bieten - ist das Buch sehr gut geeignet.
Fast interessanter als das Werk ist der Autor. Eduard Bernstein führte Ende des 19. Jahrhunderts die damals in ideologischer Hinsicht noch straff marxistisch ausgerichtete SPD in den sogenannten "Revisionismusstreit". Bernstein hielt das Festhalten an Marx und den Glauben an die proletarische Revolution, die alles hinwegfegen werde, für nicht im Interesse der Arbeiterschaft liegend. Vielmehr sah Bernstein den Kapitalismus nicht verschwinden, sondern sich verfestigen.
Daraus folgte Bernsteins Forderung, die SPD müsse ihre parlamentarische Macht nutzen, um die Regierung zu bilden und dort eine arbeiterfreundliche Politik zu betreiben. Für die Fundamentalisten war eine solche Position Verrat an den revolutionären Idealen der Arbeiterbewegung. ... Der weitere Gang der Geschichte ist bekannt: Die Fundamentalisten verließen die SPD und gründeten die KPD, während die Position Bernsteins sich allmählich durchsetzte. Insofern lässt sich Bernstein auch als einer der spirituellen Väter des Godesberger Programms ansehen."