"Beiträge zur Geschichte der deutschsprachigen Ökonomie" · volume 31
436 pp.
38.00 EUR
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ISBN 978-3-89518-618-9
Personenregister
Die Steuertheorien der Österreichischen Schule der Nationalökonomie haben die zeitgenössische Finanzwissenschaft wesentlich beeinflusst, sind aber von der ideengeschichtlichen Forschung bisher kaum beachtet worden. Dabei hat die Schule nicht nur so hervorragende Steuertheoretiker wie Robert Meyer und Emil Sax hervorgebracht, sondern auch eine spezifisch "österreichische" Steuertheorie entwickelt, die auf der Basis der Mengerschen subjektiven Werttheorie neue Antworten auf die (ur-)alten Fragen zur Gerechtigkeit und zur Effizienz der Besteuerung geboten hat. Meyer formuliert eine Neudeutung der Opfertheorie auf marginalistischer Grundlage. Die beeindruckendste Leistung vollbringt Sax, der ein komplexes ökonomisches Theoriegebäude entwickelt, das die Effizienz der Besteuerung ins Zentrum stellt. Dies ist für die zeitgenössische deutschsprachige Finanzwissenschaft, deren Schwerpunkt auf Gerechtigkeitsfragen und auf der Lösung praktischer Besteuerungsprobleme liegt, eine geradezu revolutionäre Tat. So verwundert es nicht, dass Sax' Werk zwar in Italien und Schweden intensiv rezipiert wird, in Deutschland aber weitgehend auf Ablehnung stößt und innerhalb der Österreichischen Schule nur von Wieser aufgearbeitet wird. Nach dem ersten Weltkrieg bietet Schumpeters interdisziplinärer Zugang zu steuertheoretischen Fragen neue Sichtweisen auf die Steuertheorie, die bis heute die Forschung anregen. Neben der ökonomischen Deutung verfolgt er soziologische, evolutorische und historische Ansätze, um die Wirkung der Besteuerung zu erfassen. Mises dagegen basiert seine Beurteilung der Besteuerung auf seinem liberalen Credo - das sich allerdings keineswegs als schultypisch erweist.
Die vorliegende Arbeit untersucht, welche Beiträge die Vertreter der Österreichischen Schule zur Steuertheorie geleistet haben und inwieweit sich daraus eine eigenständige "österreichische" Steuertheorie entwickelt hat. Sowohl die ideengeschichtlichen Einflüsse auf die Schule als auch die Wirkung, die die Schulvertreter auf das finanzwissenschaftliche Denken gehabt haben, werden analysiert. Der Zeitraum der Untersuchung erstreckt sich von den Anfängen der Schule in den 1880er Jahren bis ihrem Zerfall in den 1930er Jahren.
"Die Österreichische Schule der Nationalökonomie erfreut sich seit einigen Jahren wachsender Beliebtheit. Ein Grund dafür sind die methodischen Mängel von Neoklassik und Neokeynesianismus, ein anderer die populäre Wiederbelebung des Gedankenguts durch vielfach private Initiativen nicht zuletzt im angelsächsischen Raum.
Bisher nahezu vollständig vergessen geblieben sind die Steuertheorien der Österreichischen Schule. In seiner soliden und erfreulich systematischen Dissertationsschrift untersucht der frühere Mitarbeiter am Institut für Finanzwissenschaft der Universität Hamburg, Karsten von Blumenthal, welche Beiträge die Vertreter der Österreichischen Schule zur Steuertheorie geleistet haben, ob diese eine eigenständige "österreichische" Steuertheorie bilden und schließlich die Wechselwirkungen ideengeschichtlicher Einflüsse auf und durch die Österreichische Schule. Der Untersuchungszeitraum umfasst die gesamte Kernzeit der Österreichischen Schule - von den Anfängen in den 1880er Jahren bis zum Zerfall in den 1930er Jahren.
Von Blumenthal nimmt nach einer knappen Einleitung eine vorbildliche Analyse der Österreichischen Schule vor. Es folgt eine konzise Einordnung des Themas in die Kontexte: Forschungsstand, realgeschichtlicher Hintergrund und dogmenhistorische Wurzeln der Steuertheorie. Die beiden thematischen Hauptkapitel behandeln die steuertheoretischen Beiträge des Schulbegründers Carl Menger und der zweiten Generation, namentlich insbesondere Robert Meyer, Emil Sax und Friedrich von Wieser, sowie der dritten und vierten Generation, insbesondere Joseph A. Schumpeter und Ludwig von Mises. Dies geschieht anhand folgender Systematik: Überblick über das steuertheoretische Werk, Klärung des Staatsverständnisses, Analyse der Stellung zur Effizienz der Besteuerung, zur Steuergerechtigkeit und zur Steuerinzidenz, schließlich Rezeption des jeweiligen Werkes.
Insgesamt war die Österreichische Schule in finanzwissenschaftlicher Hinsicht nicht auf Liberalismus und Minimalstaat festgelegt. Das heterogene Staatsverständnis tritt besonders bei den herausragenden Steuertheoretikern Meyer und Sax zu Tage. Diese zweite Schulgeneration entwickelte eine eigene "Steuerwertlehre" (von Blumenthal) als originären Schulansatz auf der Grundlage der Mengerschen subjektiven Bedürfnis- und Wertlehre. Sax gelang mit seinem komplexen ökonomischen Theoriegebäude "Grundlegung der theoretischen Staatswirthschaft" 1884 ein großer Wurf: "Dieses Werk initiiert ein internationales Forschungsprogramm, dessen Kern bis heute zum Kanon finanzwissenschaftlicher Theoriebildung gehört: die optimale Bereitstellung öffentlicher Güter und synchron dazu die optimale gesamtwirtschaftliche und individuelle Steuerhöhe" (S. 363 f.). Der österreichische Perspektivwechsel weg von der distributiven hin zur effizienzorientierten Betrachtungsweise war schon für Zeitgenossen geradezu revolutionär - und wird auch heute noch weitgehend ignoriert. Dabei ist der Ansatz politisch aktuell, stellt er doch die Frage nach dem Preis-Leistungsverhältnis staatlicher Aktivität. Unter Effizienz der Besteuerung verstanden die österreichischen Steuertheoretiker sowohl die Auswirkungen auf die Ressourcenallokation als auch die Organisation der Besteuerung selbst. Leider führten insbesondere herausragende Theoretiker wie von Mises und Schumpeter dieses Programm nicht fort, wenn auch Schumpeters interdisziplinärer Zugang für steuertheoretische Fragen neue Sichtweisen bietet, die wie der Steuerwettbewerb bis heute die Forschung anregen."
"... In einem anspruchsvollen, trotz dem sperrigen Thema gut lesbaren Buch hat Karsten von Blumenthal die Steuertheorien der österreichischen Schule der Nationalökonomie analysiert. ...
Laut von Blumenthal ist die Deutung, die österreichische Schule als Hort des Liberalismus und Vertreterin des Minimalstaat-Konzepts zu sehen, für den finanzwissenschaftlichen Bereich nicht zu halten. Gerade die grossen Finanzwissenschafter der Schule, wie Robert Meyer, Emil Sax und auch Friedrich von Wieser hätten den Staat als wichtigen, das Wohl des Volkes fördernden kollektiven Akteur begriffen. Doch im Unterschied zur Umverteilungs-Schlagseite der heutigen Steuerpolitik ging es ihnen dabei auch um die Effizienz der Besteuerung. Auf Basis der subjektiven Werttheorie Mengers führte Sax die staatlichen Einnahmen und Ausgaben auf subjektive Wertungen der Bürger zurück; er durchbrach damit die etwa in der angelsächsischen Finanzwissenschaft übliche Annahme, dass die Höhe der Staatseinnahmen vorgegeben sei. Laut Sax kann die optimale Steuerhöhe bzw. -verteilung nur erreicht werden, wenn zwischen dem Nutzenverlust durch die Steuerzahlung und dem Nutzengewinn durch die über die Steuern finanzierten öffentlichen Güter abgewogen wird.
Das Buch von Blumenthals zeigt die Sicht der österreichischen Schule auf, dass mit der Höhe der Steuern die Höhe der Ausgaben bestimmt wird; staatliche Wohltaten seien so immer eng mit dem Übel der Besteuerung zur Finanzierung dieser Leistungen verbunden. Populärer formuliert: Stimmt das Verhältnis von Preis und Leistung staatlicher Aktivität? Erhalten die Bürger für ihre Steuern einen adäquaten Gegenwert? Laut von Blumenthal ist es den Ökonomen bis heute nicht gelungen, bei Bürgern und Politikern erfolgreich für eine stärkere Berücksichtigung von Effizienz-Aspekten zu werben. Dies beweise zugleich die Weitsicht Schumpeters, der zwar nie ein Verfechter der Steuergerechtigkeit gewesen sei, aber trotzdem die subjektiven Gerechtigkeitsempfindungen der Steuerzahler als entscheidenden Faktor für die Funktionsfähigkeit von Steuersystemen angesehen habe. Was Blumenthal zum Fazit führt, dass sich mehr Effizienz - wenn überhaupt - nur im Einklang mit Gerechtigkeitsvorstellungen der Mehrheit erreichen lasse.