1474 pp.
99.00 EUR
(incl. VAT and Free shipping)
ISBN 978-3-89518-359-1
Band 1: Das Projekt eines monetären Keynesianismus
Band 2: Angewandte Theorie der Geldwirtschaft
Hardcover, Fadenheftung
Herausgegeben von Karl Betz, Ulrich Fritsche, Michael Heine, Hansjörg Herr, Heike Joebges, Tobias Roy, Jürgen Schramm
Hajo Riese ist einer der wichtigsten und originellsten Vertreter keynesianischer Ökonomie in Deutschland. Riese verstand sich jedoch nie als Keynes-Interpret. Vielmehr ging es ihm darum, mit seinem monetär keynesianischen Ansatz die Schwachstellen zu überwinden, welche die Rückholung Keynes in die neoklassische Synthese erlaubt hatten. Dies erforderte das Forschungsprogramm der Entwicklung eines eigenständigen Paradigmas, das Keynes Forderung nach einer monetary theory of productioneinlösen sollte.
Die vorliegende Auswahl dokumentiert diesen neuen theoretischen Ansatz in seiner ganzen Breite. Sie reicht von Texten, welche die methodischen Anforderungen an die Entwicklung eines alternativen Paradigmas zum Gegenstand haben über Texte, in denen der harte Kern eines monetären Keynesianismus konzipiert wird, bis hin zu Aufsätzen, in denen die Theorie auf wirtschaftspolitische Fragestellungen angewandt wird. Darüber hinaus bieten sie einen Längsschnitt, welcher die Herausbildung des Ansatzes sowie die Entwicklungen in Hajo Rieses ökonomischem Denken dokumentiert. Darin erweist sich Riese zugleich als ein liberaler Ökonom, der nicht müde wird, die markttheoretische Fundierung wirtschaftswissenschaftlicher Analysen und wirtschaftspolitischer Ansätze konsequent einzufordern. Aus dieser Haltung resultiert eine tiefe Skepsis gegenüber naiven, sich marktwirtschaftlich gerierenden Vorstellungen, die sich der Grenzen ihrer eigenen theoretischen Grundlagen nicht bewußt sind.
Um mit diesem Werk eine inhaltlich möglichst geschlossene und zugleich repräsentative Auswahl präsentieren zu können, haben die Herausgeber auch schwerer zugängliche Quellen erschlossen. Soweit Arbeiten mit ähnlichem inhaltlichem Schwerpunkt und Aussage vorlagen, wurden die weniger prominent publizierten Arbeiten ausgewählt. Von den 55 dokumentierten Arbeiten erscheinen deshalb 10 als Erstveröffentlichungen oder erstmals in deutscher Sprache.
"In der Bundesrepublik ist es in der Nachkriegszeit kaum einem Ökonomen oder einer Ökonomin gelungen, eine eigenständige Denkschule zu initiieren. Eine der wenigen Ausnahmen bildet der drei Jahrzehnte bis zu seiner Emeritierung im vergangenen Jahr an der Freien Universität in Berlin lehrende Ökonom Hajo Riese. Die wesentliche Grundlage der auf Rieses Arbeiten beruhenden Monetärkeynesianischen Schule, die auch als "Berliner Schule" firmiert, liefert das Werk von John Maynard Keynes. Riese geht es dabei in seinem Werk nicht um die 'richtige' Keynes-Interpretation; sein Ziel ist vielmehr mit Bezug auf Keynes ein eigenes Forschungsprogramm und damit einen Gegenentwurf zur herrschenden Orthodoxie zu liefern.
Sieben Schüler von Riese haben aus dem umfangreichen Schaffen ihres Lehrers ... zwei zusammen rund 1500 Seiten starke Bände zusammengestellt, die Rieses Werk breit dokumentieren. ... Die handwerkliche Seite der beiden Bände verdient uneingeschränktes Lob. Jedem thematischen Block in den beiden Bänden ist eine kurze Einführung mit bibliografischen Angaben und Verweisen zu anderen Themenschwerpunkten vorangestellt, und am Ende des zweiten Bandes befindet sich ein Verzeichnis aller bis 2000 erschienenen Schriften Rieses. Zudem können die Texte im Original zitiert werden, da die Seitenübergänge der Erstveröffentlichungen in eckigen Klammern im Text vermerkt sind.
Riese ... beginnt Mitte der 70er Jahre mit der Erarbeitung seines Monetärkeynesianischen Forschungsprogramms. ... Im Unterschied zum Keynesianischen Fundamentalismus, der insbesondere durch die Forschungsbeiträge von Paul Davidson und Hyman Minsky repräsentiert wird, ist Riese der Überzeugung, daß ein der Neoklassik methodisch gleichwertiger Entwurf auf Keynesianischer Grundlage den methodischen Ansprüchen der allgemeinen Gleichgewichtstheorie standhalten muß. Eine Ökonomie des Ungleichgewichts kann, so Riese, 'kein eigenständiges Paradigma abgeben, weil offenbar erst einmal ein Gleichgewicht definiert sein muß, wenn Wirtschaft unter Ungleichgewichtsbedingungen analysiert wird'. Ausgangspunkt für Rieses eigene gleichgewichtstheoretische Überlegungen ist das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis: Die Bereitschaft des Gläubigers, auf das Halten von Geld zu verzichten, wird durch eine pekuniäre Prämie, den Zins, entlohnt. Der Schuldner, d.h. ein Unternehmer, der sich Geld leiht, muß folglich eine Profitrate auf sein eingesetztes Kapital erzielen, die Gleichgewichtsprofitrate leitet sich mithin als monetäre Größe aus dem Geldzins ab. ... Zur Bestimmung des Gleichgewichtspreissystems, das über den Tausch vermittelt die Verwertungsbedingungen des eingesetzten Kapitals ausdrückt, greift Riese auf das Produktionspreismodell von Sraffa zurück. Das Besondere an der Vereinnahmung des Sraffa-Modells besteht darin, daß der bestehende Freiheitsgrad der Verteilung über die Profitrate bzw. den Zins geschlossen wird, wodurch der Reallohn zum Residuum wird. ...
Insgesamt, so muß man Riese zugestehen, gelingt ihm eine durchaus eigenwillige Weiterentwicklung der Keynesschen Theorie, indem er letztere als monetäre Gleichgewichtstheorie formuliert. ...
Drei Komplexe aus dem zweiten Band ragen hier meines Erachtens heraus, nämlich Rieses Überlegungen zur 'Theorie der Wirtschaftspolitik', sowie die Arbeiten zu den Themen 'Außenwirtschaft' und 'Entwicklung'.
Riese verwirft den in der Theorie der Wirtschaftspolitik üblichen Ziel-Mittel-Ansatz, da monetäre Impulse sich grundsätzlich nicht auf ihre realen und monetären Effekte hin steuern ließen. Rieses Kritik zielt dabei sowohl auf den Monetarismus als auch auf den Globalsteuerungskeynesianismus: Der Monetarismus auf der einen Seite strebe Preisniveaustabilität an, ignoriere aber negative Mengeneffekte, die zu Unterbeschäftigung führten. Der Globalisierungskeynesianismus auf der anderen Seite setze mit nachfragestimulierender Geld- und Fiskalpolitik auf positive Mengeneffekte um Vollbeschäftigung zu erreichen und übersehe dabei das Problem der Inflation. Deshalb bliebe den wirtschaftspolitischen Institutionen nichts anderes übrig, als die Funktionsbedingungen des Kapitalismus zu akzeptieren Marktorientierung statt Intervention laute die Devise für die Lohn-, Geld- und Fiskalpolitik. Die Lohnpolitik, die immer Lohnpolitik sei, habe die Aufgabe, den monetären Prozeß zu stabilisieren und so positiv auf den Spielraum der Zentralbank zu wirken. Die Geldpolitik soll die Einkommensdynamik monetär sichern, während die Finanzpolitik im Konjunkturverlauf zwar die automatischen Stabilisatoren wirken lassen solle, ansonsten aber grundsätzlich auf aktive konjunkturpolitische und kreditfinanzierte Maßnahmen verzichten müsse, da ein Budgetdefizit das Problem der Verschuldung nach sich ziehe und ein inflationärer Schub unvermeidbar sei.
Im Bereich Außenwirtschaft steht die internationale Geldwirtschaft im Mittelpunkt von Rieses Forschungsinteresse. Auch hier kann Riese durchaus mit innovativen Ideen aufwarten. Die internationalen Währungsbeziehungen werden aus der Perspektive der Keynesschen Liquiditätspräferenztheorie und damit portfoliotheoretisch betrachtet: Den Vermögensbesitzern stehen nicht nur das inländische Geld und inländische Sachvermögen als Vermögensspeicher zur Verfügung, vielmehr können sie ihr Vermögen auch in ausländischem Geld halten. Vermögensbesitzer versuchen sich deshalb ein Bild über die Vermögenssicherungsqualität der verschiedenen Währungen zu machen; die unterschiedlichen Vermögenssicherungsqualitäten von Währungen können durch Zinssatzdifferenzen kompensiert werden. Das geschilderte Konkurrenzverhältnis von Währungen stellt für die sogenannten Entwicklungsländer, so Riese, ein Entwicklungshindernis dar, denn ihre Währungen verfügen über wenig Reputation und sind nicht kontraktfähig, d.h., sie müssen Kreditgeschäfte in Währungen der führenden Industrieländer abschließen und tragen damit das Abwertungsrisiko. Die Schuldenkrise und die Situation der Entwicklungsländer generell seien denn auch Ergebnis eines auf Kapitalimportüberschuß und Überbewertung setzenden Modells. Eine erfolgreiche Entwicklung hingegen müsse auf eine Unterbewertung der eigenen Währung abzielen: Eine entwicklungsstimulierende Wirtschaftspolitik muß dabei das Kunststück fertig bringen, einen Investitionsboom mit einem Exportüberschuß zu verbinden, während Budgetüberschüsse der öffentlichen Haushalte und gemäßigte Lohnabschlüsse für Preisniveaustabilität zu sorgen haben. Protektionistische Maßnahmen können den Entwicklungsprozeß unterstützen. Allerdings haben die Entwicklungsländer - von wenigen Ausnahmen abgesehen - aufgrund ihrer geringen produktiven Leistungsfähigkeit kaum Chancen, aus ihrer Überbewertungsposition herauszukommen, da die Industrieländer ebenfalls eine Unterbewertungsstrategie verfolgen.
Wer sich mit interessanten und anspruchsvollen ökonomischen Theorieentwürfen jenseits des neoliberalen mainstreams auseinandersetzen möchte, dem seien die beiden Bände trotz der geäußerten methodischen Bedenken uneingeschränkt empfohlen."