Aus der Einleitung:

Es werden also zwei der immer wieder genannten (und oft heftig kritisierten) drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung – Ökonomie und Soziales – auch in der Literaturwissenschaft schon länger bedacht und bearbeitet, nicht aber solche aus der dritten und vielleicht zentralsten Säule, der "Ökologie". Denn die Kategorie 'nature' – und damit der zweite der oben genannten Bereiche nachhaltiger Entwicklung, die Umweltanliegen – blieb in der Literaturwissenschaft lange nahezu ganz ausgeklammert. Erst mit Beginn der 1990er Jahre wandte sich die Literaturwissenschaft auch dem Umweltbereich zu. In diesem Fall erfolgte aber schon bald die Etablierung einer eigenen Teildisziplin, die sich im angloamerikanischen Raum herauszubilden begann: der 'Ecocriticism' bzw. die 'ökologisch orientierte Literaturwissenschaft'. Ein Überblick über die grundsätzliche Zielrichtung dieser jungen Teildisziplin und über ihre Entwicklung in den vergangenen zwanzig Jahren legt den Schluss nahe, dass der Ecocriticism – so meine These – heute die größten Chancen besitzt, sich als jener Ort in der Literaturwissenschaft zu etablieren, in dem beide großen thematischen Bereiche der nachhaltigen Entwicklung, die Entwicklungsfragen und die Umweltanliegen, erörtert werden; dies soll im Folgenden gezeigt werden. Damit geht der vorliegende Aufsatz also von einer bereits bestehenden literaturwissenschaftlichen Teildisziplin – dem Ecocriticism – aus und erörtert in kritischer Auseinandersetzung mit ihr Möglichkeiten und Grenzen der Literaturwissenschaft, Fragestellungen zur nachhaltigen Entwicklung zu behandeln.

In einem ersten Schritt werde ich den Ecocriticism näher beleuchten, indem ich einerseits seine Entwicklung skizziere, andererseits die Zielsetzungen und leitenden Fragestellungen darlege. Dabei soll auch mitbedacht werden, inwiefern sich aus diesem Blick auf das junge Forschungsfeld Bezüge zur nachhaltigen Entwicklung herleiten lassen bzw. inwiefern sich der Ecocriticism auch als literaturwissenschaftlicher Ort verstehen lässt, wo Fragen der nachhaltigen Entwicklung realpolitischer Art behandelt werden können. Weiter werden als Forschungsdesiderat des Ecocriticism Fragen theoretischer Art benannt, die die Gestaltungs- und Wirkungsmöglichkeiten, die Funktion und die Leistung der Literatur in der Gesellschaft betreffen (2.). Im nächsten Unterkapitel kommen zwei konkrete Probleme theoretischmethodologischer Art des Ecocriticism zur Sprache: Ausgehend von der Feststellung, dass der Ecocriticism bisher im deutschsprachigen Raum kaum hat Fuß fassen können, wird einerseits gezeigt, dass dies in erster Linie mit seinem normativen und gesellschaftspolitischen Anspruch zu tun hat, worin deutliche Parallelen zu Konzeptionen einer nachhaltigen Entwicklung zu erkennen sind. Demgegenüber werde ich versuchen, wissenschaftsintern herzuleiten, weshalb sich die Literatur um ökologische – und daraus folgend auch um nachhaltige – Fragestellungen kümmern sollte. Andererseits werden die problematischen gesellschaftspolitischen Schlussfolgerungen in Arbeiten des Ecocriticism behandelt und aufgezeigt, dass diese die fehlende gesellschaftstheoretische Einbettung der literaturwissenschaftlichen Teildisziplin erkennen lassen (3.). Diese wird in einem nächsten Schritt unter Rückgriff auf die soziologische Systemtheorie von Niklas Luhmann vorgenommen (4.). Auf der Folie dieser systemtheoretischen Einbettung wird der Schlussabschnitt meiner Ausführungen dem genannten Forschungsdesiderat – der Frage nach den Gestaltungs- und Wirkungsmöglichkeiten der Literatur in der Gesellschaft – gewidmet sein. Dabei steht die These im Zentrum, dass gerade die Literatur in besonderem Maße dazu geeignet ist, ökologische Fragestellungen zu bearbeiten und ökologische Kommunikation in der Gesellschaft zu verbreiten; und weiter: dass sich dieser Befund unschwer auch auf die Fragestellungen der nachhaltigen Entwicklung insgesamt ausweiten lässt (5.).