"Beiträge zur Geschichte der deutschsprachigen Ökonomie" · volume 40
516 pp.
38.00 EUR
(incl. VAT and Free shipping)
ISBN 978-3-89518-908-1
6 farbige Abbildungen
Durch die andauernde Finanzkrise seit dem Jahr 2008 hat die Kritik am Finanzkapital und an der "Macht der Banken" deutlich zugenommen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Finanzsystem und der "Realwirtschaft" wieder neu.
Rudolf Hilferdings 1910 veröffentlichte Schrift "Das Finanzkapital" ist der Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Analyse der "Macht der Banken" im deutschsprachigen Raum. Wegen der bis heute großen Bedeutung und Wirkung dieser Arbeit ermöglicht das Verständnis von Hilferdings Werk auch unsere gegenwärtigen Vorstellungen hierzu besser zu begreifen.
Um dies zu erreichen wird Hilferdings Schrift in dieser Arbeit nicht nur in seiner theoretischen Argumentation nachvollzogen und bewertet, sondern sie wird in seinen wirtschaftsgeschichtlichen, theoriegeschichtlichen und biographischen Zusammenhang gestellt. Dadurch entsteht ein umfänglicher Blick auf diesen Klassiker der Nationalökonomie.
(dt. Übersetzung des japanischen Textes durch den Rezensenten):
"Die Haupteigenschaft des vorliegenden Buches ist eine kritische Rekonstruktion der Brennpunkte der logischen Struktur des "Finanzkapitals" auf der historisch-literarischen Basis der ungeheueren marxistischen und unmarxistischen Forschungsergebnissen und der verschiedenen Archivalien. Diese so weitgreifende Arbeit hat der Verfasser allein durchgeführt. Er bestimmt den Brennpunkt einer Forschungslinse so gut, daß das Buch einsichtsvoll und anreizend ist. ...
Interessant ist eine Erwähnung der japanischen Hilferdingsforschungen: "Überhaupt gibt es eine erstaunlich intensive Diskussion zu Hilferding in Japan. Das meiste jedoch auf Japanisch, sodass nur Teile davon hier rezipiert werden können." (S. 22f.) Vor allem erwähnt, zitiert od. beruft er sich sehr häufig auf die Arbeiten Minoru Kuratas. Man könnte die Häufigkeit nicht durchzählen." ...
Aber der Verfasser hat nicht nur Kurata, sondern auch viele andere Forscher genannt: Toshihiko Hozumi (S.115, 244 u. 412), Hiroyasu Ida (S. 23), Makoto Ito (S. 310 u. 421), Isamu Kamijo (S. 23, 241, 243, 244 u. 422), Masaru Kasai (S. 23 u. 177), Masaaki Kurotaki (S. 23, 143 u. 267), Koji Morioka (S. 70) u. Kiichiro Yagi/Yukihiro Ikeda (S. 284). Also ist vorliegendes Buch die erste ausländische Literatur, die eine große Anzahl japanischer Hilferdingforschungen rezipiert hat. [Nur schade, dass der Verfasser eine Reihe von wichtigen Hilferdingforschungen Yuko Kawanos nicht kennt, die auf neuen Materialien basieren. Vor allem bedauerlicherweise überprüft der Verfasser keine der in Fortsetzung erschienenen Artikel Hilferdings in der Sächsischen Arbeiter Zeitung 1905/06, die Kawano gefunden und analysiert hat.] ...
Zu meinem Erstaunen gibt es einige unsichere Stellen, wo man Briefe Hilferdings an Kautsky fehl- oder nicht entziffert. Zitat aus einem Brief (KD XII 589) "vollendetesten! ist im Original "vollendesten"; "in ihren[?] Verschiedenheiten" ist im Original "und ihrer Verschiedenheiten"; "das spät [?] Deutschlands" ist im Original "das späte Eintreten Deutschlands" (soweit S. 371); "seine verschiedenen Entwicklung" im Original "seine verschiedene Entwicklung"(S. 372). Weiter beim Zitat aus KD XII 588 zuerst Datum des Briefes "Am 19. März", im Original "Am 14. März." Dann im Text "Auskünfte[?]" ist im Original "Ausbeuten."(S. 379) Hat der Verfasser die Briefe nicht selbst im IISG untersucht und entziffert, sondern unerfahrenen irgend jemand mit den Sachen beauftragt? Obgleich in die Zitaten Zeichen [?] eingefügt waren, sind es unglaubliche Fehler od. Unmöglichkeit der Entzifferung. Aber das alles wäre sozusagen der einzige Makel des vorliegenden Buches, das wissenschaftlich so hohes Niveau erreicht. Ich erwarte eine ernste und tiefe wissenschaftliche Debatte fortzusetzen zwischen japanischen und deutschen Hilferdingforschern."
"Besonders originell erscheint im Rückblick Hilferdings Geld- und Kapitaltheorie, welche die Wandlungen des Geldsystems durch das Vordringen von Papiergeld und Kreditgeld gegenüber dem Edelmetall in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viel klarer erkennen lässt als die Theorien der "bürgerlichen" Ökonomen. Auch vermeidet Hilferdings Kapitalbegriff, der scharf zwischen Real- und Geldkapital unterscheidet, Konfusionen, die aus der zum Beispiel bei Eugen von Böhm-Bawerk vorkommenden Gleichsetzung von Geld und Realkapital in einen einheitlichen Kapitalbegriff resultierten. Nicht nur Joseph Schumpeter und Ludwig von Mises - beide besuchten zusammen mit Hilferding Böhm-Bawerks Seminar an der Wiener Universität - bezogen wesentliche Anregungen von Hilferdings Werk, freilich ohne deren Quelle zu erwähnen. Die zunehmende Elastizität des Geldsystems, die dem Entstehen des finanzkapitalistischen Überbaus über das Produktionssystem zugrunde liegt, steigert auch die Bedeutung der "Zirkulationssphäre" gegenüber dem Produktionssektor, was Hilferding in einen Zwiespalt versetzte, auf den Greitens mehrfach eingeht: sachlich, indem die an sich bereits problematische Arbeitswerttheorie immer unplausibler wird, wenn das Tempo der Akkumulation maßgeblich vom "unproduktiven" Bereich mitbestimmt wird; persönlich, weil die Konklusionen aus Hilferdings Analyse mehrfach zum Revisionismus hinführen, er sie aber selbst wieder verneinte, um nicht in einen Gegensatz zu seinem Mentor und Förderer Karl Kautsky und dessen marxistischer Orthodoxie zu geraten. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, nach der Regierungsbeteiligung der SPD und nach der Abspaltung des Kommunismus/Leninismus von der alten Sozialdemokratie entwickelte Hilferding seine Theorie des "Organisierten Kapitalismus", die viel besser zu den Erkenntnissen des "Finanzkapital" passt. Allerdings scheint - wie Greitens' kurze Darstellung von Hilferdings Tätigkeit als Politiker in der Weimarer Republik, insbesondere jener als zweimaliger Kurzzeit-Finanzminister vermuten lässt - die residuale marxistische Orthodoxie (neben den für Theoretiker typischen Skrupeln) seine Entscheidungsfähigkeit in kritischen Situationen gehemmt zu haben.
Alles in allem ist Jan Greitens' Monografie über ein großes Werk eines bedeutenden Manns eine beachtliche Leistung, ausgewogen in Darstellung und Argumentation, reich an Material und Bezügen, auf die hier nur beispielhaft hingewiesen werden konnte. Der Autor sieht die heutige Bedeutung des "Finanzkapital" nicht in einer direkten Anwendbarkeit auf die Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wie vielleicht die gegenwärtige globale Wirtschaftskrise, die ja eine Krise des "Finanzmarktkapitalismus" ist, suggerieren könnte. Aus den konkreten Umständen ihrer Zeit herausgehoben, bieten Hilferdings Analysen zur Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftssystems produktive Denkansätze für die gesamte Zeit seit der Veröffentlichung des Werks vor gut 100 Jahren."